Plötzlich neues Reiserad

Posted by: suddenly_bike

Plötzlich neues Reiserad - 11/07/12 07:40 AM

Hallo zusammen,
weil ich neu bin, möchte ich vorweg ein paar Sätze zu mir sagen.
Seit ungefähr zwei Jahren ist in mir der Wunsch gewachsen, eine lange Radtour zu machen. Alltagsfortbewegungsmittel war das Rad für mich schon immer; seit ich vor 10 Jahren nach Münster gezogen bin, ist mir das Fahren aber immer stärker ans Herz gewachsen. Trotzdem hat es bisher nur zu etwa einwöchigen Touren auf einem relativ günstigen Trekkingrad "gereicht". Jetzt sieht es aber so aus, als wäre nächstes Jahr die berufliche und private Situation günstig um im Spätsommer oder Herbst aufzubrechen und ein paar Monate bis Jahre unterwegs zu sein. Yeeeeehaaaa :-)

Vor zwei Wochen wurde mein Rad geklaut (Panther TR 444 - bitte nicht direkt steinigen) und ich brauche sehr bald ein neues, allein schon für den Alltag. Ich will jetzt etwas kaufen, das (zumindest ein großer Teil des Rads) auch für die Tour ist. Ich habe allerdings ein relativ geringes Budget und obendrein von den meisten Dingen wenig bis keine Ahnung. Ich bin hier in den letzten Tagen viele Fäden der letzten Monate durchgegangen und habe dabei sehr viel gelernt - vor allem bei den teils heftigen, ausufernden Diskussionen mit vielen Für- und Wider-Argumenten, die aber auch sehr zeitfressend zu lesen sind. Kurzum: Bitte habt Nachsicht mit mir, dass ich nicht zu jedem einzelnen Thema lang und breit recherchiert habe; wenn ich offensichtliche "FAQ"-Fäden übersehen habe, freue ich mich über Links und ansonsten über viele weitere Tipps, Anregungen und Diskussionen zum weiteren Vorgehen!
Update (ich habe den Text schon vor der Account-Freischaltung geschrieben): Ich war am Wochenende bei meinem Münsteraner FH des Vertrauens (Zweirad Weigang, ich war mit der Beratung sehr zufrieden!), habe mich ausführlich beraten lassen und das Fahrradmanufaktur TX-400 angeschaut. Die Erfahrungen meines Besuchs sind in den jeweiligen Abschnitten eingefügt.

Einsatzzwecke, Rahmenbedingungen
Das Budget sollte 1000 Euro für das reine Fahrrad nicht weit übersteigen, so das Ziel. Allein schon deswegen, weil ich meiner Hausratsversicherung einen ziemlich genialen Fahrradschutz aus den Rippen geleiert habe, der unbegrenzt auch im Ausland gilt - jedoch nur bis 1000 Euro. Der Hauptgrund ist aber ganz simpel: Je weniger Gespartes ich für Rad und Equipment ausgebe, desto mehr bleibt für die Reise. Bei über 1000 Euro fürs Rad habe ich das Gefühl in "das fühlt sich zwar gut an, ist eigentlich aber echt nicht nötig"-Gefilde zu kommen.
Wie erwähnt soll mir das Rad erstmal als Alltagsrad (50-200km/Woche) dienen, zur Arbeit, für Tages- und Wochenendausflüge. Später dann möglichst universell. Ich schätze, dass ich auf meiner Reise die erste Zeit in westeuropäischen Ländern sein werde, möchte mich schon da aber ungern auf gut ausgebaute Strecken beschränken, sondern Feld- und Waldwege - notfalls auch mal Wiesen etc. - mitnehmen. Und auch wenn ich vom Radfahr-Gefühl lieber in flachem bis hügligem Land radle, soll das Rad definitiv auch für die eine oder andere Bergstrecke geeignet sein.
Ich selbst bin bei 28 Jahren, 1,75m Größe und 75kg relativ kompakt gebaut bei normaler Sportlichkeit (meine "Haussportart" ist Handball). Ich saß bisher immer "normal" mäßig tief gebeugt auf dem Rad (etwas näher an einer Rennposition als an einer aufrechten Haltung), mein Orthopäde hat mir jetzt aber *sehr* nahe gelegt, aufrechter zu fahren, weil meine Rückenmuskeln eh schon zu kurz und mein Rücken/Nacken zu verspannt seien und das bei aufrechterer Position wahrscheinlich besser werde. Mit Gepäck im relativen Flachland und ohne viel Wind komme ich bisher meistens auf einen Schnitt von 17-19 km/h. Muss auch nicht schneller sein. Ich möchte zumindest in der ersten Zeit in wettertechnisch milden Gefilden unterwegs sein und dadurch (und durch gewichtsoptimierte sonstige Ausrüstung) mit auch unterdurchschnittlich viel Gepäck unterwegs sein.


Das neue Rad
Es soll so wartungsarm wie möglich sein (klar), und Wartungen sollten so einfach wie möglich sein. Ich habe keine Lust, alle zwei oder drei Tage alles grundzureinigen, zu ölen usw. Wartungsarmut geht für mich in den meisten Belangen auch klar vor Gewicht.

Schrauben, Muttern, Diebstahlsicherung
Wenn ich mir mein Basiswerkzeug angucke, frage ich mich unweigerlich: Geht das nicht auch einfacher (weniger -> gewichtsmäßig leichter)?! ...Inbus in verschiedensten Größen, diverse Gabel- und Steckschlüssel, Kreuzschlitz, Philips, Torx... Gibt es Hersteller/Verkäufer, die das alles auf 3-4 verschiedene benötigte Werkzeuge reduzieren? Kennt ansonsten jemand eine gute Quelle für einzelne Edelstahlschrauben, mit denen man sich selbst helfen kann?
Zweitens sind manche teure Sachen soo leicht abschraubbar (Frontstrahler z.B.)! Für einen simplen Diebstahlschutz würde ich tatsächlich noch ein extra-Werkzeug mitnehmen: Gibt es "Spezialschrauben" wie bei Autofelgen?

Größe, Rahmen, Gabel
Ich kann die Diskussionen um 26" vs. 28" deswegen nicht nachvollziehen, weil ich seit 15 Jahren nur noch 28" gefahren bin. Mit 28" bin ich bisher auch bei schlechterer Wegequalität mit engeren Kurven gut zurechtgekommen. Mein Händler hat bekräftigt, dass 26"er stabiler seien als 28"er und deswegen die meisten neueren Reiseräder 26"er seien. Von der Effizienz würde es auch keinen nennenswerten Unterschied machen.
Bei der Frage ob Stahl- oder Alu-Rahmen bin ich für mich zu dem Schluss gekommen, dass ich keines von beidem kategorisch ausschließe - von Rahmenbrüchen lese und höre ich selten. Tendieren tue ich aus schon oft genannten Gründen zu Stahl.
Mit Gabeln kenne ich mich kein Stück aus. Mein Laienwissen beschränkt sich auf "Federgabel = bequemer, dafür schwer und falls nicht hochpreisig auch schnell labberig und kaputt". Ich fand meine "Standard-Federgabel" am alten Rad auch mit Gepäck (das nur hinten drauf war) relativ angenehm, aber tatsächlich wars bei zügigeren Abfahrten nicht gerade ein Gefühl wie auf Schienen. Ich tendiere also zu einer ungefederten Gabel mit Lowrider-Aufnahmen. Mein Händler meinte noch, dass Taschen-Aufnahmen für Federgabeln nicht empfehlenswert seien (instabiler, schwerer, höherer Schwerpunkt). Muss ich da sonst noch was beachten?

Laufräder/Felgen, Bereifung
Zuerst zur Breite der Räder: Hier tendiere ich zu einer etwas breiteren Variante, sprich, z.B. 50mm. Ich hab's ja auch nicht eilig und will querfeldein. Das TX-400 hat Mondial-Bereifung, die Mein Händler sehr empfehlenswert findet.
Von Laufrädern habe ich wohl am allerwenigsten Ahnung. Ich schätze, dass ich im Extremfall mit rund 30kg Kleidung und Gepäck unterwegs sein werde. Zusammen mit meinen dann wohl 70kg Körpergewicht und dem Fahrrad komme ich auf grob 115-125kg Gesamtgewicht. Im Normalfall (Wasser, Essen und Radgeschäft in Reichweite, wärmere Temperaturen) 10-15kg weniger. Hat jemand einen guten Einstiegslink ins Thema Laufräder/Felgen für mich? Der Felgen-Wikieintrag überfordert mich ein bisschen.

Schaltung
Ich bin noch nie Rohloff gefahren (und die kommt aus Preisgründen wohl auch nicht in frage) und bin mit sonstigen Naben nie warm geworden. Mein Händler rät für Fernreisen von Nexus und Co. ab. Andererseits hatte ich bei den drei bisherigen Rädern mit Kettenschaltung (bin aber auch nur bis XT-Niveau gefahren) ziemlich schnell abgefahrene Lieblingsritzel (nach ~3-5000km) und unpräzise Schaltungen, die auch von verschiedenen Fachwerktstätten nicht mehr sauber eingestellt werden konnten. Aufgrund der Ersatzteilsituation in technisch weniger entwickelten Ländern tendiere ich trotzdem zu einer Kettenschaltung. Aber: Es scheint seit zwei Modelljahren fast nur noch 10-fach Schaltungen zu geben. Wie ist es da mit der Justage? Weiß jemand, wie die weltweite Verfügbarkeit aussieht? Die Ketten sind auch schmaler geworden, oder? Wie läuft eine ältere, breitere Kette drauf? Generell auch: Wofür spricht - wenn es nicht so sehr aufs Gewicht ankommt - XT-Niveau (drüber kauf ich aus Kostengründen wohl eh nicht)? Mein Händler meinte, beim Zahnkranz lohne sich der Aufpreis jedenfalls nicht, wichtiger sei die Kette.
Das TX-400 hat vorne 26/36/48, hinten 11-34. Falls sich das ähnlich fährt wie bei einem 28", muss ich mir ganz schwer überlegen, ob das vorne nicht viel zu groß ist.

Bremsen
Eigentlich war ich mir trotz meiner Begeisterung für meine bisherige HS11 sicher, wieder auf eine herkömmliche V-Brake umzusteigen, weil die Ersatzteilsituation soo viel besser ist, überall verfügbar, billig, total einfach einzustellen und zu warten. Durch diverse Fäden hier im Forum zu Felgenbremsen bin ich ins Grübeln gekommen. Ja, ich habe bei meiner letzten Tour auch zum ersten Mal Risse in der Felge bekommen, habe das aber auf die generell nicht so hohe Materialqualität geschoben. Wie gesagt bin ich eher Flachlandfahrer. Die meisten hier haben glaube ich viel mehr Erfahrung als ich um einschätzen zu können, ob Berichte von Felgenrissen eher Einzelfälle sind (die aber wegen ihrer ggf. heftigen Folgen umso stärker im Gedächtnis bleiben) oder etwas, was tatsächlich häufig vorkommt..? Und falls ich eine V-Brake nehme: Worauf muss ich da achten? Mein Händler riet mir dringend zu einer Magura ("geht so gut wie nie kaputt und ist viel wartungsärmer als jede V-Brake - im Zweifelsfall ein 30Euro-Wartungsset mitnehmen").

Sattel
Schon beim Sitzen auf S-Bahn-Hartschalen schläft mir nach zehn Minuten der Hintern ein, die Füße folgen kurz danach kalt sind meine Füße immer, wenn ich auf Stühlen sitze. Das Ganze ist bei mir - angeblich ungewöhnlich - zu einem guten Teil auch abhängig von der Härte der Polsterung: je weicher, desto besser.
Mehr als 2 Stunden am Stück Radfahren wurde für mich überhaupt erst möglich, als ich nach vielem Rumprobieren beim sq-lab 602 active mit den weichen (weißen) Elementen gelandet bin. Ein taubes Hinterteil und "prickelnde" Füße kriege ich immer noch, aber später und nicht so heftig. Wund wird bei mir dafür eigentlich nie irgendwas, und auch direkt im Dammbereich hab ich wenig Probleme. Wenn ich jetzt aufrecht fahre, wird der 621er für mich interessant, den werde ich probefahren. Habt ihr sonst noch Tipps für relativ weich gepolsterte, dennoch halbwegs schmale Sättel? Und spricht was für oder gegen gefederte Sattelstützen? Ich hab da jetzt keinen großen Unterschied zu meiner vorherigen starren gespürt, hatte aber auch die billigste gefederte Stütze eingebaut, die es gab.

Energieversorgung, Nabendynamo
Ich hatte in meinem alten Rad glaub ich einen Shimano DH-3N30. Der hat genug Energie erzeugt, um bei eingeschalteter Beleuchtung (Lumotec IQ Cyo T) übers E-Werk gleichzeitig noch 500-700mA bereitzustellen. Dafür fand ich, dass er schon deutlich merkbar Widerstand erzeugt hat. Lohnt sich ein besseres (effizienteres, leichteres) Modell? Die SON sind ja schweineteuer... ->DH-3N72, DH-3N80 als relativ preiswerte, leichtere Alternativen? Mein Händler meinte, dass es zwar *bis* ~6 km/h einen spürbaren Unterschied im Widerstand gebe, es drüber aber sowieso kaum noch spürbar sei. War das bei mir Einbildung? Hatte ich ein Montagsmodell oder eine schief eingesetzte Achse oder so? Ich bin mir jetzt auf meinem alten Peugeot-Rad ohne Nabendynamo wiederum sicher, dass ich damit deutlich leichtläufiger unterwegs bin als mit meinem Panther!
Zur Stromversorgung: Ich bin also bisher immer mit E-Werk und meinem (wasserdichten) Motorola Defy (mit Oruxmaps und OSM/OCM, Google Maps) gefahren und damit - bis auf die mangelnde Displayheligkeit - extrem zufrieden. Da ich ausschließlich per USB ladbare Geräte habe (Handy, Digicam, ebookreader), kaufe ich als nächstes wohl entweder ein bumm USB-Werk oder einen Luxos. Allerdings brauch ich die extreme Helligkeit des Luxos nicht und habe in Münster großen Schiss, dass der mir schneller geklaut wird als ich "Busch und Müller Lumotec IQ2 Luxos U" sagen kann (siehe auch oben zur Diebstahlsicherung). Mein Händler empfiehl mir heute den Dahon Reecharge, den ich wg. Pufferakku, Netzladefunktion, Spritzwasserschutz und schnell abnehmbarem Gehäuse auf dem Papier ebenfalls sehr interessant finde - allerdings fallen die Ergebnisse im fahrradzukunft-Test ja gemischt aus. Gibt's da weitere Erfahrungen?
(Ladegerät/Luxos lasse ich beim 1000€-Budget fürs Rad erstmal außen vor.)

Schutzbleche/Kettenschutz
Dazu les ich fast nie was. Standard-Schutzbleche scheinen mir a) zu schwer, b) sind sie mir (vor allem hinten) meistens zu kurz, und c) ist die Reinigung mühselig. Spricht irgendetwas (außer dem leichten Diebstahl) gegen Steckschutzbleche? Gibt's da Modelle, die extralang sind? Falks Meinung (Re: Einsteiger braucht Hilfe bei Fahrradberatung (Ausrüstung Reiserad)) kenne ich dazu, aber Falk hat ja auch tendenziell dogmatische Einstellungen zwinker Kann das jemand bestätigen/dem was entgegenbringen?
Bei Reiserädern "von der Stange" ist mir aufgefallen, dass sie sehr häufig keinen Kettenschutz haben. Warum nicht? Mein Händler meinte, dass das vor allem ästhetische Gründe hätte, dass der zusätzliche Dreck ohne Schutz aber auch nicht ins Gewicht fallen würde..?

Sonstiges
Zu folgenden und weiteren Dingen habe ich mir bisher nur sehr wenige bis gar keine Gedanken gemacht und bin natürlich genauso für Anregungen dankbar:
- Pedale (mit Klick komme ich nicht zurecht - meine Knie brauchen große und abwechslungsreiche Bewegungsfreiheit, sonst machen meine losen Kniescheiben Ärger. Ogottt, ich klinge wie ein gebrechlicher Mann)
- Kette
- Vorbau (ahead-Vorbau? Was ist das, was sind die Vor- und Nachteile? Wie kann ich die Höhe verstellen?)
- Lenker (Multiposition? Auflieger? Griffe?)


Weiteres Vorgehen
Wie gesagt habe ich das TX-400 (26"!) von der Fahrradmanufaktur genauer in Augenschein genommen. Bei dem wundere ich mich, dass man hier im Forum so wenig davon hört, es ist doch jetzt auch schon 2 Jahre so auf dem Markt, oder?. Das T400 sieht man hier ja häufig, aber auch das t700 z.B., was sich mir ehrlich gesagt nicht direkt erschließt, da mir das an vielen Punkten schlechter für lange Touren geeignet scheint und nicht wesentlich billiger..?
Das TX-400 übersteigt mein Budget eigentlich schon: Noch ist zwar das MJ 2012 lieferbar und er hofft, es mir für 100-150 Euro weniger anbieten zu können, aber da wäre ich von der Stange immer noch bei ~1150-1200 Euro und hätte noch keinen richtigen Sattel. Andererseits scheint mir dieses Rad im Vergleich zu diversen anderen Marken mit vergleichbarer Ausstattung noch ziemlich günstig.
Es stellt sich natürlich sehr schnell die Frage, ob ich mir mein Rad nicht komplett aus Einzelteilen zusammenbauen will. Dazu bräuchte ich aber irgendwoher viel Unterstützung, und ich habe in diesen Preissegmenten das Gefühl, dass es viel günstiger ist, ein Komplettrad zu kaufen als die Komponenten einzeln. Gegen einen Gebrauchtkauf aus dem Netz spricht, dass ich es in den meisten Fällen nicht vorher ausprobieren kann und mir eventuelle Macken mangels Fachkenntnis nicht auffallen würden. Außerdem dürfte bei einem eventuellen Diebstahlversicherungsfall wohl keine Rechnung namentlich auf wen anderes sein, und es müssten alle Rechnungen vorhanden sein.
Haben die "üblichen Verdächtigen" Reiseradhersteller günstige Fabrikverkäufe, z.B. von Vorjahresmodellen? Bei den hohen Endpreisen würde es sich ja schnell lohnen auch weite Strecken dafür zu fahren.


Danke fürs Lesen, ich hoffe auf viele Diskussionspunkte, die mir noch ein bisschen weiter die Augen öffnen schmunzel

Beste Grüße aus Münster,
Martin