Re: Vorteile/Nachteile Riemenantrieb

Posted by: idje

Re: Vorteile/Nachteile Riemenantrieb - 08/13/09 10:56 PM

Der Gates-Carbonriemen erschien mir zunächst nicht interessant, weil dies nur einer von zig Versuchen ist, ein Fahrrad mit Riemenantrieb auszurüsten, und ich der Meinung war, dass der Wirkungsgrad die Effizienz des Kettenantriebs sowieso nicht erreicht.
Nach vielen Diskussionen über den neuen Gates Carbon Belt Drive habe ich den Wirkungsgrad testen lassen. Dabei stellte sich heraus, dass der Wirkungsgrad des Riemens bei Leistungen zwischen 100 und 200 Watt nahezu dem der Kette entspricht. In diesem Leistungsbereich bewegen sich auch die meisten Radfahrer. Unterhalb von 100 Watt verschlechterte sich der Wirkungsgrad des Riemens deutlich. Das gleiche geschah oberhalb von 200 Watt, doch hier nahm der Wirkungsgrad weniger stark ab. Für den "durchschnittlichen" Radfahrer geht die Sache also in Ordnung.
Damit gewann der Riemen an Attraktivität, denn bekanntlich kommt er ohne Schmierung aus; er muss nur ab und zu gereinigt werden.
Danach begannen wir dieses Jahr bei idworx, ungefähr zum gleichen Zeitpunkt wie Rohloff, mit Tests an diesem Antriebssystem.
Das "Durchtrennen" des Rahmens, was für die Montage des Riemens erforderlich ist, stellt ein lösbares Problem dar und ist damit keine große Hürde; optimal ist es jedoch nicht.
Bei den ersten Tests mit Mountainbikes hier in der Umgebung von Bonn, bis zu einer Höhe von etwa 470 Metern, begegneten wir jedoch dem ersten Problem: Der Riemen springt über die hintere Riemenscheibe. Dies wird von einem lauten "Peng" begleitet. Bei Rohloff entdeckte man dies ebenfalls. Bernd Rohloff schlug Alarm, denn sein technischer Sachverstand sagte ihm, dass es zum Riemenbruch kommen könnte, was zu einem bösen Sturz des Radlers führen kann.
Der Riemen ist aus Kohlefasern aufgebaut, denen der hohe Wirkungsgrad zu verdanken ist, die aber auch sehr große Nachteile mit sich bringen: idworx bietet keine Kohlefaserrahmen an, weil dieses Material unseres Erachtens für die von idworx gebauten Fahrräder nicht sicher genug ist. Es kann vorkommen, dass ein idworx einige Meter durch die Luft fliegt (Mountainbike) oder umfällt (falsch abgestelltes Trekkingrad mit Taschen). Das tut einem Kohlefaserrahmen gar nicht gut! Dadurch entstehen oft Schäden, die zu Brüchen führen können.
Dieser Carbonriemen hat das gleiche Problem: Beim Überspringen brechen die Kohlefasern, was ebenso wie bei einem Kohlefaserrahmen äußerlich nicht erkennbar ist. Eine Kette an einem Fahrrad mit Getriebenabe bricht normalerweise überhaupt nicht mehr. Gleiches gilt unter perfekten Bedingungen auch für einen Carbonriemen, doch derartige Bedingungen sind bei einem Fahrrad einfach nicht gegeben.
Das Springen des Riemens kann gelöst werden, indem man unter der hinteren Riemenscheibe eine Rolle montiert. Diese verhindert, insbesondere bei hohen Kräften, ein zu starkes Durchhängen des Riemens und sorgt auf diese Weise dafür, dass sich hinten genügend Zähne im Eingriff befinden. Durch diesen so genannten "Snubber" wird das System etwas schwerer und komplexer; der Snubber muss außerdem abklappbar sein, damit er beim Ein- und Ausbau des Hinterrades nicht im Wege ist.
Derzeit stellt sich noch eine andere Frage: Die Spannung des Riemens scheint sehr wichtig zu sein, doch eine korrekte Kontrolle gestaltet sich schwierig. Zwar gibt es dafür recht große Werkzeuge und Tensiometer, doch die finde ich nicht sehr praktisch. Der Riemen muss sich spannen lassen, denn er dehnt sich zwar selbst nicht, doch der Verschleiß der Riemenscheiben und der Riemenzähne führt zum Nachlassen der Riemenspannung.
Ein viel größeres Problem, das direkt mit den Kohlefasern zusammenhängt, ist der unsachgemäße Umgang mit dem Riemen durch den Benutzer, also den Radfahrer. Eine Kette verträgt eine Menge, auch von Leuten mit zwei linken Händen, solange die Nieten richtig angebracht sind. Die Frage lautet: Inwiefern leidet der Riemen unter den Folgen einer falschen Montage und Demontage des Hinterrades? Schon ein Knick im Riemen kann zum Bruch der Kohlefasern führen. Man muss den Riemen regelmäßig in die Hand nehmen, um dies zu kontrollieren. Das heißt, dass der Riemen immer kontrolliert werden muss, wenn ein Verdacht auf unsachgemäße Handhabung besteht! Außerdem passiert es oft, dass mir ein Zweig in die Kette gerät (im Offroad-Einsatz) oder dass die Pedale anderer Fahrräder gegen meine Kette drücken. Wiederum die Frage: Wie reagiert der Riemen darauf? Eine Kette verträgt sehr viel.
Für mich als Hersteller ist dies ein großes Problem. Nehmen wir an, jemand fällt nach einem Riemenbruch vom Fahrrad und zieht sich dabei erhebliche Verletzungen zu (es sind schon derartige Fälle bekannt, meines Wissens ohne Schwerverletzte); wer haftet dann? Ich, der Produzent des Fahrrads!
Bei einem Kettenbruch kann die Ursache des Ausfalls meistens genau festgestellt werden, zum Beispiel, dass das Material nicht richtig gehärtet worden war (der Kettenlieferant hat zu schnell gearbeitet) oder die Glieder nicht richtig vernietet worden sind (die Schuld liegt bei dem Händler oder dem Fahrradhersteller). Beim Riemen jedoch lassen sich die Ursachen im Nachhinein nur sehr schwer herausfinden. Möglicherweise hat der Eigentümer des Fahrrads den Riemen beschädigt; er weiß dann meistens von nichts.
Als wir damit anfingen, uns Gedanken über den Riemen zu machen, haben wir sofort die Anbieter in Europa, von denen der Riemen verkauft wird, nach den Riementoleranzen in Bezug auf den Rahmenbau gefragt. Darüber ist - noch - nichts bekannt... Meine Techniker fragen nach so etwas natürlich zuerst!
Und darin sehen wir ein weiteres großes Problem: Die Toleranzen des Carbonriemens sind nicht mit den Toleranzen des heutigen Rahmenbaus kompatibel. Wie schief darf der Rahmen sein, ohne dass es zu Problemen beim Riementrieb kommt? Wir glauben: ganz und gar nicht schief! Doch selbst den Herstellern, die sich nach Kräften darum bemühen, Rohloff zur Freigabe des Riemens in Kombination mit dem Speedhub zu bewegen, gelingt es nicht, solche Rahmen zu bauen. Bei mehreren Vorführrädern lief der Riemen nicht ganz gerade, wodurch Geräusche entstanden, der Riemen fast von der Scheibe gesprungen wäre oder ungleichmäßiger Verschleiß auftrat. Im letzteren Fall wird der Riemen gegen den Rand der Riemenscheibe gedrückt; die Folge ist einseitige Abnutzung.
Wie löst man dies nun? Selbst die Rahmen der bekanntesten Fahrradmarken sind nie ganz gerade. Dies hat keinen Einfluss auf das Fahrverhalten. Oft sind die Fahrräder der unteren Preisklasse deutlich schiefer, was man dann auch beim Fahren merkt.
Natürlich kann man es so machen, wie es die ersten Anbieter mit dem Carbonriemen getan haben: Man führt die Ausfallenden verstellbar aus. Dann kann der Riemen gerade ausgerichtet werden, indem man das Hinterrad verschiebt. Und wie Gates sagt, kann es sein, dass das Rad dadurch leicht schräg steht. Für mich ist das keine Lösung. Außerdem fallen dadurch die FIRM-tech-Bremsen weg! Bei idworx legen wir ganz im Gegensatz großen Wert auf jedes Detail.
Man könnte in diesem Fall eine Scheibenbremse auf dem verschiebbaren Mechanismus installieren: sehr kompliziert. Für eine hundertprozentig richtige Ausführung muss die Konstruktion noch komplizierter werden (will heißen: noch viel teurer und wiederum schwerer).
Weitere Nachteile, die bekannt sind: Der Riemen kann unterwegs nicht repariert werden. Und wenn man einen Ersatzriemen mitführt, muss dieser sehr vorsichtig behandelt werden, vor allem beim Auspacken.
Riemenscheiben und Riemen sind, ebenso wie die Rahmen, deutlich teurer.
Dazu frage ich mich auch, wozu der ganze Aufwand dienen soll. Der Vorteil des Riemens besteht darin, dass er ohne Schmierung auskommt. Dem stehen jedoch eine Vielzahl von Nachteilen und eine Reihe offener Frage gegenüber. So ist man denn doch geneigt, sich für die Kette zu entscheiden.
Und so kommen wir zur nächsten Frage: Verschleiß und Lebensdauer.
Darüber lässt sich noch nicht viel sagen. Eine Kette im Kettenkasten, die ungefähr zweimal im Jahr geschmiert werden muss, hält durchaus 20.000 Kilometer und mehr. Wie schneidet der Riemen in dieser Hinsicht ab? Zur Zeit liegen noch nicht genügend Daten vor. Wir haben einen Dauertester, der mit dem Carbonriemen fährt, doch wir können noch nicht viel sagen, denn der Test läuft noch. Die für den Riemen im Laborversuch angegebene Laufleistung von 20.000 Kilometern ist für die Praxis nicht relevant, weil der Test ohne Verschmutzungen und andere Umwelteinflüsse wie UV-Strahlung, Temperaturunterschiede und/oder chemische Substanzen wie Salz durchgeführt wurde. Doch selbst wenn wir annehmen, dass der Riemen genauso langlebig ist wie die Kette, fallen die Kosten für den Riementrieb deutlich höher aus.
Ich glaube, dass wir diesem Riemen noch etwas mehr Zeit geben müssen, um zu sehen, ob er sich tatsächlich für das Fahrrad eignet. Ich bin bisher nicht überzeugt.
Oft wird ein Vergleich mit den Motorrädern von Harley-Davidson gezogen, in denen Riemen zum Einsatz kommen. Auf einer Harley kann ich mir schon eher einen Riemen vorstellen, denn der Fahrer selbst führt eigentlich keine Wartungsarbeiten an seinem Motorrad aus. Wenn zum Beispiel für einen Reifenwechsel das Hinterrad ausgebaut werden muss, dann geschieht dies bei dem Händler, einem Fachmann also, der hoffentlich weiß, was er tut, und für die geleistete Arbeit auch haftbar gemacht werden kann.
Hier ist ein interessantes Zitat aus dem Englischen: "There is NO Warranty On These Harley Davidson Rear Belts!! (No One Warranties Belts For Harley Davidson, Belts Can Break From Improper Adjustment, Installation, Or Abusive Riding, So Its Not Just Us, No One Warranties Harley Davidson Replacement Belts)"
Das Ende der Kette, so wie ich es sehe, naht mit Sicherheit noch nicht. Ich bin auch nicht gegen Riementriebe. Doch jeder von uns bei idworx ist sehr kritisch; wir setzen nur auf bewährte Technik und machen nicht anstandslos jeden Hype mit. Dass wir wirklich innovativ sind, haben wir in den zurückliegenden zehn Jahren bereits gezeigt, und das werden wir in Zukunft mit Sicherheit weiter tun.
Im Grunde geht es nur um die Wahl zwischen einem hohen Sicherheitsstandard und hoher Zuverlässigkeit (Kette) und einer minimalen Senkung des Wartungsaufwands (Riemen).