Posted by: veloträumer
Re: Wildes Campen/Zelten - 06/01/13 02:06 PM
In Antwort auf: StephanBehrendt
In Antwort auf: soma
Einmal musste mich die Stadtpolizei in Italien wecken, da ich - bei strömenem Regen - in einem überdachten Hauseingang (ca. 3m breit, aber eben 'privato') gelegen bin. Die Polizisten zeigten mir dann einen trockenen Platz, der 'publico' war und an dem ich schlafen konnte.
Ich frage mich bei diesen ganzen Hobo-Geschichten zunehmend, ob sowas eigentlich Spaß machen kann.
Ich verstehe, dass die Menschen in Kalkutta auf der Straße schlafen: sie leben dort und sie haben Nichts. Aber wir müssen hier im Alltag nicht auf der Straße leben und die hier Schreibenden tun es vermutlich auch nicht. Warum sollen oder wollen wir es dann um Gottes Willen mit aller Gewalt im Urlaub machen?
Ich nehme das mal als sachliche Frage eines offenbar recht unerfahrenden Radreisenden, der auch nicht gerne meine Reiseberichte ließt. Da ist nachzulesen, dass es eine Reihe von unglücklichen, abstrusen Situationen gibt, wo man "aus Not" zum "Straßenschläfer" wird (plötzliche Gewitter, fehlende Zeltflächen in Städten, aber auch auf dem Lande durch gezäunte Landwirtschaft etc.). Es sei auch gesagt, dass das Biwakieren mit Matte und Schlafsack sich zuweilen nicht sehr wesentlich vom regulären Campen unterscheidet, was den Komfort angeht. Lediglich ist man nach außen rundum nicht abgeschirmt, zuweilen meist aber überdacht (Bushaltehäuschen, Tankstellendach etc.).
In einigen Fällen hat sich das Nicht-Zelt-Aufschlagen sogar am nächsten Tag als Vorteil erwiesen, weil ich schneller losfahren konnte als beim üblichen Zeltpackprozedere. Es gibt auch manchmal Plätze, die sogar komfortabler sind als das Zelt. Der Schlafkomfort zwischen Wildzelten und Camping auf regulärem Platz unterscheidet sich ja ohnehin nicht. Was die Hygiene angeht, kann man Strategien entwickeln, die übrigens auch voll umweltverträglich sind - wenn da jemand Bedenken haben sollte.
"Aus Not" ist natürlich relativ, weil man durchaus durchorganisiert und finanziell willig fast immer eine Alternative finden könnte. Manche Schlafplätze (meist dann mit Zelt) abseits vorgesehener Plätze schulde ich zuweilen meiner Routenstrategie, noch ein paar Kilometer draufzulegen. Manchmal wäre die letzte Übernachtungsmöglichkeit mit einem erheblichen Zeitverkust verbunden - zuweilen schon mal eine halbe Tagesetappe. Da ich nach Plan fahre, suche ich solche "Verluste" durch zu frühes Beenden der Etappe zu vermeiden - muss aber dafür immer häufiger Wildcampen akzeptieren. Ich würde manchmal selbst nichtmal kostenlos im zu früh zu findenden Hotel übernachten wollen. Zudem ist die Campingplatzdichte ist nicht unbegrenzt - nicht mal in Frankreich.
Campingplatz-Vermeidung betreibe ich nahezu kaum. Ausnahmen gibt es aber - z.B. jüngst an Pfingsten. Ich bin zu nahezu nächtlicher Stunde an einen Ort angereist, wo es einen Camping gab. Da ich an dem Tag aber nicht geradelt bin, brauchte ich keine Dusche. Bei der Besichtigung des Campings musste ich feststellen, dass der Platz für mich 19,50 € kosten würde. Das würde ich im Verlauf einer Tour zwar akzeptieren - ich habe schon teurere Plätze akzeptiert und sogar willentlich angestrebt - jedoch in diesem Fall schien mir das überflüssig und übertriebn. Anschließend habe ich einen anderen Übernachtungsplatz gesucht. Genaueres dazu werde ich in einem Moralistenforum aber nicht kundtun. In künftigen Reiseberichten werde ich derartige "Geheim"-Tipps auch weitgehend weglassen, um hier nicht unlauteren Rüpeleiaufrufen verdächtigt zu werden.
Armut: Nun, dazu sei einmal Folgendes berichtet. Im Jahre 2005 habe ich ein recht anspruchvolle, 5-wöchige-Alpentour bei teils auch problematischen Witterungsverhältnissen durchgeführt. Damals habe ich etwa zur Hälfte auf Campingplätzen übernachtet, die andere Hälfte entfiel auf Festunterkünfte, Hotels/Gasthöfe, JH, Privatzimmer. Auf späteren Reisen - z.B. auf meiner Pyrenäen-Reise 2011 (ähnlich Alpentour 2009) war ich wiederum 5 Wochen bei teils schwierigen Witterungsbedingungen unterwegs. Wiederum waren die Hälfte der Übernachtungen auf Campingplätzen, die andere Häfte aber - Wildcamping! - Warum?
Es gibt ziemlich genau die Entwicklung meines Einkommens wieder. Seit meiner Anstellung in Stuttgart 1999 habe ich bis heute ein Realeinkommensverlust, der etwa bei 40-50 % liegt. Das hängt einerseits ein wenig mit geringerer Arbeitszeit zusammen, insbesondere aber mit fehlenden Lohnanpassungen. Ich kann aber nicht gleichzeitig erwarten, das andernorts die Hotelpreise eingefroren oder gar zurückgefahren werden. Es ist eigentlich für jeden gesunden Menschenverstand nachvollziehbar, dass das Konsequenzen haben muss - auf den Alltag, aber auch auf den Urlaub. Es sollte hier in diesem Forum auch klar sein, dass ich auf eine solch leidenschaftliches Hobby wie Radreisen nicht verzichten möchte. Ich hoffe, dass sich sich das einige mal durch den Kopf gehen lassen bevor sie weiter ihre Arroganz pflegen. Ich behaupte auch, dass ich in Deutschland kein Einzelfall bin.
Noch eine Sache, die mir am Herzen liegt: Meine Ausgaben auf Reisen sind hier im Forum sehr transparent, weil ich jede Übernachtung mit Preis in meinen Berichten ebenso aufgeführt habe wie auch die Restaurantessen. Diese Transparenz pflegen viele andere hier nicht. Es sei deswegen auch mal erwähnt, dass ich touristisch allein schon durch meine Restaurantbesuche Auslagen habe, die weit über dem Forumsdurchschnitt liegen dürften. Auf meiner Frankreichreise 2004 habe ich in Bayonne allein für Schokolade und andere süße Spezialitäten über 300 € ausgegeben - ein Teil davon glaich in die Heimat geschickt. Ich habe auch schon Nichtforumsradreisende kennen gelernt, deren Einkommen wesentlich über meinem liegt, die aber eine äußerst spartanische Tütenernährung praktizierten und sehr wenig an Touristengeld in die Regionen bringen. Sind das vielleicht auch Schmarotzer oder vielleicht sogar erst Recht?
Es gibt eben ganz unterschiedliche Konzepte, um auf Reisen sein Glück zu suchen und zu finden. Ich muss zwar Prioritäten setzen (Unterkunft vs. Ernährung), aber es nicht so, dass ich auf ein komfortables Urlaubserleben (ganz) verzichte. Ob das schon Schmarotzertum ist, darf jeder selbst entscheiden. Am besten wäre es natürlich, dass alle die gleiche Transparenz hier walten ließen. Da würde manches faule Ei in sich zusammenbrechen.
Zum Schluss noch Geschichten, wie ihr hoffentlich auch welche kennt - wohl schon mal erzählt. Als ich auf der Alb mal auf einer kleine Wochenendtour in einem Gasthof zu Abend gegessen habe, kam ich mit einem pensionierten Lehrer ins Gespräch. Es war auch mit dem Radel unterwegs. Er fragte mich, wo ich denn übernachten würde, der Lehrer nämlich daselbst im Gasthof. Als ich ihm sagte, ich werde schon ein Plätzchen irgendwo am Waldrand finden und ich müsse eben Abwägen, ob ich abends gut esse oder mir eine gepflegte Unterkunft leiste, antwortete er sinngemäß: "Eigentlich schäme ich mich für meine enorme Beamtenpension - es sei schon unglaublich, wie hoch die Rente sei im Vergleich zu vielen Menschen, die noch in Arbeit sind, aber bereits weit darunter stehende Löhne haben. Man darf ja gar nicht an deren Rente denken." Ein ähnliche Bemerkung machte mal ein deutscher ehemaliger Banker, der sich im Elsass mit seiner Frau im Alter niedergelassen hat und mir in seinem Garten Quartier für mein Zelt gewährte. "Das Geld wurde in den Banken uns früher nachgeschmissen. Man dürfe das gar nicht so laut sagen, wie hoch die Renten dadurch sind. Heute ist es schon viel schwieriger geworden, auch in den Banken gibt es vieles nicht mehr wie früher."