Posted by: veloträumer
Re: Was bleibt von einer Radtour? - 10/31/12 12:55 PM
In Antwort auf: JoMo
Sicher ist ganz gewiß, daß man diese praktisch kostenlosen und intensiven Erfahrungen auch heute noch machen kann. Ziemlich unabhängig von der verwendeten Technik.
Manchmal erscheint es, daß man die live gemachten Eindrücke hinter technischen Firlefanz vergißt. Kürzlich auf einem Konzert gesehen. Vor lauter hochgehaltener Smartphones, die mit zweifelhafter Bild- und Tonqualität die Band aufzeichneten, konnte man fast die Band vorne nicht mehr sehen. Auch irgendwie krank.
Was bleibt bei euch von einer Radtour ?
Manchmal erscheint es, daß man die live gemachten Eindrücke hinter technischen Firlefanz vergißt. Kürzlich auf einem Konzert gesehen. Vor lauter hochgehaltener Smartphones, die mit zweifelhafter Bild- und Tonqualität die Band aufzeichneten, konnte man fast die Band vorne nicht mehr sehen. Auch irgendwie krank.
Was bleibt bei euch von einer Radtour ?
Tiefe Erfahrungen ohne Technik bleiben, aber neue Techniken verändern eben auch die Wahrnehmung und den Erlebnischarakter. Das kann das urspüngliche Gefühl verdrängen oder schwächen, es kann aber auch die Erlebnisse verstärken, wie das StephanZ gesagt hat ("Erinnerungsanker"). Früher habe ich mit weniger Fotos (und fremd entwickelt) weit weniger intensiv die Reisen aufgearbeitet als heute - quasi als Selbstentwickler mit den Reisen allein fototechnisch schon Wochen oder sogar Monate beschäftigt. Auch das Schreiben über die Reise wikrt im Nachhinein nochmal Erlebnis-stärkend.
Was ich erstaunlich finde: Blättere ich in meinem Erinnerungskasten, dann reduzieren sich Reisen meist nur auf wenige Erlebnisse. Es sind nicht 5 Wochen Reise, sondern nur wenige Momente davon. Versuche ich das eine oder andere genauer aus dem Gedächtnis zu holen, bleibt vieles verloren. Auch hier hilft mir die moderne Vielfotografierei über manche Erinnerungslücke hinweg. Es ist also auch ein Trugschluss, das jedes aktive Erleben uns so nachhaltig prägt, es sind eben nur wenige Momente. Dennoch galube ich, dass auch die vielen vergessenen Momente irgendwo in uns sind - nur können wir sie nicht mehr später aufarbeiten. Es wäre also falsche, eine Radreise nur an Erinnerungen zu messen.
Ein weiteres Phänomen sind die schwindende Genauigkeit der Erinnerung. Es gibt immer mehr Erlebnisse, deren Details verwischen - zuweilen hilft sich das Gehirn mit Interpretationen die sich bei mancher Prüfung als falsch erweisen. Die Erinnerung betrügt also auch immer - deswegen sind "Lebendige" Erinnerungen auch so wunderbar, weil sie zu Geschichten werden. Die nackte Realität der Vorfälle wäre selten einer solchen Radl-Geschichte würdig gewesen. Radlerlatein ist nicht nur gewollte Überzeichnung, manchmal ist sie einfach nur die natürliche Degeneration der Erinnerung.
Das Beispiel mit Konzerten ist mir auch geläufig - doch spielt hier anderes rein: Wenn du mit Musikkritik beschäftigt bist, sogar selbst viel dazu geschrieben hast, wird ein Konzerterlebnis auch gefühlsärmer, man beginnt alles im Kopf zu zerlegen - der Genuss weicht der Analyse. Lässt sich nur schwer verhindern. Eine Methode neuen Zugang zu finden ist bei mir mittlerweile eine relativ starke Blockade gegenüber Konzerten und CDs - dafür versuche ich die wenigen Male gezielt auszusuchen und intensiver wahrzunehmen (Zeit nehmen). Ungewöhnliche Konzertorte empfinde ich da auch hilfreich, um das "Gewohnte" zu durchbrechen. Im laufenden Jahr habe ich mir einige Konzertereignisse "erarbeitet", indem ich dort hingeradelt bin.
Anderes: Nehmen wir einmal das Beispiel Mobiltelefon oder gar das Smartphone mit Facebook-Option etc. Ermöglicht häufige Rückmeldung bei Lieben und Bekannten. Die Distanz der Ferne vermindert sich, das Allein-Gefühl (mehrere solcher Gefühle hat Kettenraucher gut beschrieben) nimmt ab, aus Einsamkeitswahrnehmungen werden tägliche Talkminuten. Auch die Risiken vermindern sich, wenn man "hold the line" mitradeln lässt. Das verändert die Gefühle des Triumpfes, des Machbaren, des Erlebten. Aus dem ICH-Erlebnis wird eine ICH-Show für andere, beziehe andere ein in die laufende Reise, die Selbstreflektion vermindert sich. Denkbare Maßnahme (bei mir so): Kein Kontakt mit der Heimwelt. Ich vermeide zudem TV und Zeitungen mit dem Weltgeschehen, weil ich die Reise auch als eine Zeit des Ausstiegs erleben möchte. Nur Ich und das Rad und meine Reiseumgebung. Bei Fussball-WMs kann man leider die Medien nicht immer ausblenden - man bekommt ja förmlich die Ballerei aufgezwungen (soweit in Fußballländern unterwegs).