Posted by: ungua
Re: Aufforderung an Reiseradler, spez. Norwegen - 08/21/11 08:47 AM
Ich weiss Deinen Kommentar, nochmal sachlich Deine Sichtweise zu präsentieren, sehr zu schätzen. Aus Respekt davor möchte ich darauf noch einmal antworten, obwohl ich schon zweimal gesagt habe, dass ich das Thema liegen lassen will.
Vorweg: Ich bin grundsätzlich, aber mit wichtigen Einschränkungen, einig, was zwei theoretische Prinzipien angeht:
1) Gleichstellung der Radfahrer und Autofahrer in der Stadt.
2) Verursacherprinzip bei Einschränkungen persönlicher Freiheit mit "reality check".
Das Gleichstellungsprinzip ergibt meines Erachtens Sinn, so lange Radfahrer und Autofahrer zahlreich und einigermassen "ebenbürtig" sind, d.h. dort, wo der Geschwindigkeitsunterschied zwischen den beiden nicht zu gross ist - in der Stadt. Dort ist man mit dem Rad schneller und besser unterwegs. Daher unterstütze ich auch Projekte wie "autofreie Innenstadt", etwas, was sich mehr und mehr und - wichtig - schrittweise verbreitet. Ein Grundprinzip muss nämlich sein, dass man beim Entfernen von Alternativen neue und möglichst gleich gute Alternativen errichtet. D.h. gute Busverbindungen, Strassenbahnen etc. Bergen ist die erste Stadt der Welt gewesen, die 1985 eine Abgabe zum Passieren der Innenstadt per Kraftfahrzeug verlangte. Heute kostet das Fahren in die Innenstadt immer noch ~2€ (je nach Abonnement aber auch nur rund €1.20) und finanziert u.a. den Ausbau eines neuen Strassenbahnnetzwerkes. Es gibt Pläne, die Passierpreise selektiv zu erhöhen, z.B. für die Dieselfahrzeuge, deren NOx-Abgase dem lokalen Asthmaverbund nachweislich hunderte neue Mitglieder pro Jahr bescheren.
Da haben wir also das Verursacherprinzip. Sehr gute Idee, finde ich! Aber in dem Fall, den wir hier diskutieren, sehe ich kaum dessen Relevanz. Denn die Umwege, die die Radfahrer fahren müssten, waren minimal - und ich finde, dass Radfahrer prinzipiell auf einer Schnellstrasse nichts zu suchen haben. Ob dort nun die vorgeschriebene Geschwindigkeit bei 80, 130km/h oder unbegrenzt liegt, ist imho irrelevant. Der Geschwindigkeitsunterschied ist gross genug, um Fehler fatal werden zu lassen. Denn eines kann man nicht abschaffen: Der Mensch wird immer Fehler machen. Du liest hier die Beispiele derer, die geradeaus über deutliche Kreisverkehre fahren. Sowas wird es immer geben, und als Radfahrer möchte ich mich nicht der Gefahr aussetzen, die wir hier diskutieren, und unterstütze daher ein grundsätzliches Verbot. Beide die hier erwähnten Tunnel sind für Kraftfahrzeuge auf 80km/h reguliert und haben ausserdem andere Probleme, denen ich mich als Radfahrer nicht freiwillig aussetzen würde (u.a. der hohe CO-Gehalt im Arnanipatunnel).
Meinetwegen kann man sich des Autofahrens gerne verweigern, aber das ist folglich freiwillig und eine individbasierte Entscheidung. Da dann als Spezialinteressent eine kollektive und unmittelbare Veränderung zu fordern, scheitert imho an mehreren Jahrzehnten Infrastrukturausbau, der den Radfahrer nicht berücksichtigt hat. Das ist eine ganz normale politische Frage: Du bist in diesem Fall Lobbyist und musst Dich in einer Demokratie einer Kompromisgesellschaft anpassen. Selbst wenn man "von oben" entscheidet, das Rad sei das Nonplusultra, wird immer noch ein Grossteil der Bevölkerung vom Auto abhängig sein, so lange man keine guten Alternativen anbietet, siehe oben. Folglich werden andere Interessen provoziert, die den Radfahrern ihr neues Recht wieder nehmen wollen. Ich unterstütze daher die gradweise Annäherung an das Thema, die u.a. in Norwegen statt findet: Es gibt Regeln, die beim Bau neuer Strassen Radfahrer berücksichtigen, innerstädtisch ist das seit fast einem Jahrzehnt sowieso und endlich (!) der Fall. Das heisst allerdings nicht, dass man dort, wo Radfahrer nicht Teil der Planung gewesen sind, und deren Sicherheit obendrein nicht gewährleistet werden kann, als Radfahrer einfach selbst entscheiden sollte, was man macht. Denn das schafft genau die gleiche Problematik wie die Hauruckmethode: Gegensätze zwischen Kraft- und Radfahrern eskalieren. Wenn Du hier also verschiedene Orte aufzählst, die man als Radfahrer nicht erreichen kann, dann heisst das für mich: Dort nicht radeln! So einfach ist das doch:
Warum sollte man sich als Ausländer und Tourist als Regelbrecher und Forderer aufstellen? Das ist der nächste Punkt, den ich nicht verstehen kann. Denn man kann eine Meinung haben zu seinem Heimatland, seiner Heimatregion, die man gut versteht. Dort hat man im Idealfall ein gutes Verständnis für die Politik der Region und welche Schritte notwendig sind, um diese zu verbessern. Wählt man, Verkehrsregeln bewusst zu ignorieren (ob man da nun einen technischen Unterschied sieht oder nicht, sei in diesem Falle mal dahingestellt), weiss man wenigstens, vor welchem Hintergrund das geschieht. Wenn man allerdings "mitten in der Pampa" im Ausland die Einheimischen belehren will, dass man doch diese spezielle Interessengruppe nicht vernachlässigen soll - und dann in einem speziellen logischen Twist dazu kommt, die Verkehrsregel zu ignorieren - finde ich das schon grob. Denn man ist ja obendrein noch im Urlaub und sollte die Möglichkeit haben, Alternativen zu finden (Umfahrungen, Busse, Hiken). Die deutsche Oberlehrermentalität mit in's Ausland zu nehmen ist die eine Sache, die andere sind die tatsächlichen und reellen Sicherheitsprobleme, die daraus erwachsen. Und ich glaube, dass Du diese auch siehst und nicht verneinst, obwohl Du sie vor einem starken ideologischen Hintergrund vernachlässigst? Korrigiere mich, wenn ich falsch liege. In einigen der hier diskutierten Regionen sind Tunnel die einzige Strassenverbindung, manchmal eröffnet erst in den Neunzigern. Das ist schon ein gross genuges Ereignis gewesen, vom Schiffsverkehr auf's Auto umzusteigen. Jetzt dort neue Infrastruktur für Radfahrer zu verlangen ist grob, ich unterstütze aber absolut den normalen politischen Prozess, die Bedingungen für Radfahrer zu verbessern - mit Radwegen.
Den Punkt musst Du mir noch einmal erklären, damit ich verstehe, was Du damit überhaupt meinst. An Falks Lærdalstunnel beispielsweise gibt es wegen sehr grosser Abstände keine Pendler und ausschliesslich die wenigen Radreisegruppen, die während des Sommers dort passieren, sind vom Moped- und Radverbot betroffen.
Sorry für die lange Antwort, aber ich bevorzuge Sätze anstelle von Stichpunkten, da alles, was ich hier noch einmal gesagt habe, schon mehrfach misverstanden wurde.

Vorweg: Ich bin grundsätzlich, aber mit wichtigen Einschränkungen, einig, was zwei theoretische Prinzipien angeht:
1) Gleichstellung der Radfahrer und Autofahrer in der Stadt.
2) Verursacherprinzip bei Einschränkungen persönlicher Freiheit mit "reality check".
Das Gleichstellungsprinzip ergibt meines Erachtens Sinn, so lange Radfahrer und Autofahrer zahlreich und einigermassen "ebenbürtig" sind, d.h. dort, wo der Geschwindigkeitsunterschied zwischen den beiden nicht zu gross ist - in der Stadt. Dort ist man mit dem Rad schneller und besser unterwegs. Daher unterstütze ich auch Projekte wie "autofreie Innenstadt", etwas, was sich mehr und mehr und - wichtig - schrittweise verbreitet. Ein Grundprinzip muss nämlich sein, dass man beim Entfernen von Alternativen neue und möglichst gleich gute Alternativen errichtet. D.h. gute Busverbindungen, Strassenbahnen etc. Bergen ist die erste Stadt der Welt gewesen, die 1985 eine Abgabe zum Passieren der Innenstadt per Kraftfahrzeug verlangte. Heute kostet das Fahren in die Innenstadt immer noch ~2€ (je nach Abonnement aber auch nur rund €1.20) und finanziert u.a. den Ausbau eines neuen Strassenbahnnetzwerkes. Es gibt Pläne, die Passierpreise selektiv zu erhöhen, z.B. für die Dieselfahrzeuge, deren NOx-Abgase dem lokalen Asthmaverbund nachweislich hunderte neue Mitglieder pro Jahr bescheren.
Da haben wir also das Verursacherprinzip. Sehr gute Idee, finde ich! Aber in dem Fall, den wir hier diskutieren, sehe ich kaum dessen Relevanz. Denn die Umwege, die die Radfahrer fahren müssten, waren minimal - und ich finde, dass Radfahrer prinzipiell auf einer Schnellstrasse nichts zu suchen haben. Ob dort nun die vorgeschriebene Geschwindigkeit bei 80, 130km/h oder unbegrenzt liegt, ist imho irrelevant. Der Geschwindigkeitsunterschied ist gross genug, um Fehler fatal werden zu lassen. Denn eines kann man nicht abschaffen: Der Mensch wird immer Fehler machen. Du liest hier die Beispiele derer, die geradeaus über deutliche Kreisverkehre fahren. Sowas wird es immer geben, und als Radfahrer möchte ich mich nicht der Gefahr aussetzen, die wir hier diskutieren, und unterstütze daher ein grundsätzliches Verbot. Beide die hier erwähnten Tunnel sind für Kraftfahrzeuge auf 80km/h reguliert und haben ausserdem andere Probleme, denen ich mich als Radfahrer nicht freiwillig aussetzen würde (u.a. der hohe CO-Gehalt im Arnanipatunnel).
Meinetwegen kann man sich des Autofahrens gerne verweigern, aber das ist folglich freiwillig und eine individbasierte Entscheidung. Da dann als Spezialinteressent eine kollektive und unmittelbare Veränderung zu fordern, scheitert imho an mehreren Jahrzehnten Infrastrukturausbau, der den Radfahrer nicht berücksichtigt hat. Das ist eine ganz normale politische Frage: Du bist in diesem Fall Lobbyist und musst Dich in einer Demokratie einer Kompromisgesellschaft anpassen. Selbst wenn man "von oben" entscheidet, das Rad sei das Nonplusultra, wird immer noch ein Grossteil der Bevölkerung vom Auto abhängig sein, so lange man keine guten Alternativen anbietet, siehe oben. Folglich werden andere Interessen provoziert, die den Radfahrern ihr neues Recht wieder nehmen wollen. Ich unterstütze daher die gradweise Annäherung an das Thema, die u.a. in Norwegen statt findet: Es gibt Regeln, die beim Bau neuer Strassen Radfahrer berücksichtigen, innerstädtisch ist das seit fast einem Jahrzehnt sowieso und endlich (!) der Fall. Das heisst allerdings nicht, dass man dort, wo Radfahrer nicht Teil der Planung gewesen sind, und deren Sicherheit obendrein nicht gewährleistet werden kann, als Radfahrer einfach selbst entscheiden sollte, was man macht. Denn das schafft genau die gleiche Problematik wie die Hauruckmethode: Gegensätze zwischen Kraft- und Radfahrern eskalieren. Wenn Du hier also verschiedene Orte aufzählst, die man als Radfahrer nicht erreichen kann, dann heisst das für mich: Dort nicht radeln! So einfach ist das doch:
Warum sollte man sich als Ausländer und Tourist als Regelbrecher und Forderer aufstellen? Das ist der nächste Punkt, den ich nicht verstehen kann. Denn man kann eine Meinung haben zu seinem Heimatland, seiner Heimatregion, die man gut versteht. Dort hat man im Idealfall ein gutes Verständnis für die Politik der Region und welche Schritte notwendig sind, um diese zu verbessern. Wählt man, Verkehrsregeln bewusst zu ignorieren (ob man da nun einen technischen Unterschied sieht oder nicht, sei in diesem Falle mal dahingestellt), weiss man wenigstens, vor welchem Hintergrund das geschieht. Wenn man allerdings "mitten in der Pampa" im Ausland die Einheimischen belehren will, dass man doch diese spezielle Interessengruppe nicht vernachlässigen soll - und dann in einem speziellen logischen Twist dazu kommt, die Verkehrsregel zu ignorieren - finde ich das schon grob. Denn man ist ja obendrein noch im Urlaub und sollte die Möglichkeit haben, Alternativen zu finden (Umfahrungen, Busse, Hiken). Die deutsche Oberlehrermentalität mit in's Ausland zu nehmen ist die eine Sache, die andere sind die tatsächlichen und reellen Sicherheitsprobleme, die daraus erwachsen. Und ich glaube, dass Du diese auch siehst und nicht verneinst, obwohl Du sie vor einem starken ideologischen Hintergrund vernachlässigst? Korrigiere mich, wenn ich falsch liege. In einigen der hier diskutierten Regionen sind Tunnel die einzige Strassenverbindung, manchmal eröffnet erst in den Neunzigern. Das ist schon ein gross genuges Ereignis gewesen, vom Schiffsverkehr auf's Auto umzusteigen. Jetzt dort neue Infrastruktur für Radfahrer zu verlangen ist grob, ich unterstütze aber absolut den normalen politischen Prozess, die Bedingungen für Radfahrer zu verbessern - mit Radwegen.
Zitat:
Die Behinderung durch Fahrradverbote auf "ein paar Reiseradler pro Woche" abzutun, ist auch nicht sachgerecht. Wir praktizieren zur Zeit die Überprüfung des Fahrtzwecks und dessen Gewichtung nur bei Blaulichtfahrten von Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen u.s.w.
Sorry für die lange Antwort, aber ich bevorzuge Sätze anstelle von Stichpunkten, da alles, was ich hier noch einmal gesagt habe, schon mehrfach misverstanden wurde.