Aus der Talmulde heraus geht es unmittelbar in Molini di Trioria wieder hinauf. In dem ehemaligen Mühlenort liegt ein uriger Gemischtwarenladen mit allerlei Köstlichkeiten der Region, ein paar Hexenpuppen weisen auf einen besonderen Teil der Geschichte der Region von Trioria hin: Aus dem Ort gibt es eine verbriefte Hexenhistorie, bei der u.a. eine gewisse Franceschina Ciocheto (auch Zucheto, Chioceto) in Genua für einen Hexenprozess eingekerkert wurde. Sie war eine von 13 Angeklagten, die 1588 nach Genua gebracht wurden, später kamen noch weitere fünf hinzu. Zuvor standen bereits weitere Frauen des Vorwurfs der Hexerei gegenüber und litten in dem Gefängnis von Trioria. Die Bevölkerung suchte nach einer Hungersnot nach Schuldigen. Weil die als Hexen angeklagten Frauen teilweise aus der Oberschicht stammten, kam es zu einflussreichen Protesten an die Inquisitoren in Genua und Albenga. 1589 wurden die Frauen freigesprochen, fünf starben jedoch im Gefängnis an den Qualen, eine davon soll selbst aus dem Fenster geprungen sein. Die Inhaberin der Bottega, Angelamaria, soll ein echte Nachfahrin besagter Franceschina Ciocheto sein. Die kleine, zierliche, aber bestimmt wirkende Angelamaria ist entsetzt über meine Absichten, den Berg hinüber nach Garéssio mit einem derart beladenen Rad zu fahren. Sie schüttelt mir die Hand und wünscht mir alles Gute. – Wurde ich jetzt verhext, weil ich im Folgenden geradezu täglich von unsäglich teuflischen Wetterkapriolen und kleinen Schicksalsschlägen stranguliert wurde – oder gab mir diese Frau die Kraft, diese Schläge zu bewältigen – ja gar zu überleben?

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Wie die Schwüle des Tages unvermeidlich andeutete, geht nun ein erstes Gewitter nieder. Ein höllisches Gedonner und einschlagende Blitze unmittelbar hier vor dem Hexenmuseum. Nach Norden – meine Fahrtrichtung – ist alles von dunklen Wolken überzogen. Eigentlich hätte ich hier die Etappe abbrechen müssen – doch so früh am Tage, wo noch mehrere Stunden Fahrtzeit offen stehen – nur eine halbe Etappe? – Nach Ende der Gewitterschauer nehme ich Kurs – eine sehr steile Auffahrt, die nach und nach noch steiler wird. Hin und wieder leichter Regen. Nach einer offenen Passagen wandelt sich die Asphaltstraße in eine Schotterpiste. Noch ist die Piste befahrbar, aber unheimlich steil. Ein letztes Auto kommt an mir vorbei. Die Frau fragt, ob alles in Ordnung ist, dann bin ich allein.
Die nächsten Gewitter sind im Anzug. Zunächst Regen. Den letzen Teil zum Passo della Guárdia muss ich schieben, zu steil die Rampe. Die Piste ist teils schon recht tief durch den Regen. Der Pass ist nicht ausgeschildert, es gibt eine Verzweigung. Mein Höhenmesser liefert mir Gewissheit am Pass zu sein. Es geht nun ganz offen weiter hinauf zum Colle Golezza. 350 Hm durch Gewitterregen, Blitze und Donner. Es gibt keinen Schutz. Kälte durchdringt die Knochen, es stürmischer Wind lässt mich frösteln. Fast unmöglich, die lange Hose aus der Tasche zu holen und anzuziehen. Ich suche den Schutz unter einem fragilen, überstehenden Fels, auf dem ein paar Tannen stehen. Etwas weniger Regen, etwas Windschutz. Ein Felssturz könnte mich treffen. Blitze kommen von allen Seiten, es donnert wie in der Hölle. Die Wahl ist vom Blitz oder vom Fels erschlagen zu werden. Der Pass für mich nicht hochzufahren. Selbst im trockenen Zustand wohl nicht. Zu viele spitze Rippen wechseln mit locker-schottrigem Untergrund. Vielleicht sind es noch 200 Hm, vielleicht auch nur 150 Hm. Die Blitze lassen nach, der Regen auch, immer noch aber treibt der Wind den Regen durch die Kleidung. Ich schiebe das Rad hinauf, hoffe auf Entspannung. Unten auf einer Almwiese ein Haus – ein Schäfer? – Es wäre ein unnützer Umweg, wenn ich nicht unterkommen könnte. Ich verwerfe den Plan, drücke das Rad nach oben, versuche immer wieder Abschnitte zu fahren, muss jedoch nach wenigen Metern immer wieder anhalten. Die Wolken lichten sich etwas, ein Hauch Sonne, Regenbogen über grünem Bergland – Oh Schönheit in der Verzweiflung! – Es ist geschafft, der Pass ein kleiner Tunnel.