Manche Orte genießen ja Weltruf und sind daher von Touristen überlaufen, zusätzlich noch mit Andenkenläden und schlechten und teuren Restaurants übersät. Ich denke an Orte wie die Alhambra, den Mont St. Michel u.ä. Vor einigen Jahren fand ich selbst die Wartburg verdammt überlaufen.
Nun haben ja viele dieser Orte ihren Ruf durchaus zu Recht und sind sehenswert. Wie geht Ihr damit um? Augen zu und durch? Drauf verzichten, obwohl ihrs eigentlich gerne sehen würdet? Tagesrandzeiten und Nichtsaison nutzen? Mit Freude ins Getümmel?
Grundsätzlich ist schon mal alles vorgekommen. Grundsätzlich wird aber auch dieses "Überlaufen" übertrieben. Zunächst stelle ich fest, es sind alles Menschen. Erdrückende Drängelmassen gibt es eher manchmal bei Festen oder Konzerten, weniger bei festen Sehenswürdigkeiten. Das Vorbeilaufen an anderen Menschen, die sich Gebäude oder Bilder oder sonstwas anschauen, ist eigentlich keine besondere Herausforderung. Suche ich ruhige Plätze, finde ich die auf einer Radreise zu Hauf - muss aber nicht an jedem Ort absolute Bergstille sein. Die Faszination liegt ja darin, dass sich Stille und lebhafte Plätze abwechseln. Wie schon von anderen beschrieben, kann man sich die vielen Menschen auch zunutze machen, etwa für Fotomotive.
Nichtsaison geht bei mir eigentlich gar nicht, weil der Urlaub nicht frei gewählt werden kann. Zudem würde ich das nicht an Sehenswürdigkeiten festmachen, sondern an Witterungsbedingungen. Für die Radreise ist das letztlich wichtiger. Was nützt mich eine Radreise zum Mailänder Dom im Winter, wenn ich auf dem Weg dahin von Schnee und Sturm gepeinigt werde und kaum ein ungetrübter Blick auf die Landschaften fallen kann, die Finger mir an der Knipse abfallen usw. Die drei Leute weniger im Dom machen mich dann auch nicht glücklich.
Tagesrandzeiten - das wäre gut, ist aber selten umsetzbar. Dann müsste ich meine Tour nur noch nach Museumszeiten ausrichten und manchmal einen ganzen Tag warten, um dichtere Menschemassen zu umgehen. Tagesrandzeiten können aber die Entscheidung begünstigen, eine Sehenswürdigkeit zu besuchen, was ich bei längeren Wartezeiten oder riesigem Andrang vielleicht nicht gemacht hätte. Museumszeiten sind ohnehin schon schwierig in eine Tour einzubauen. Es gibt also nur wenige Besichtigungsorte, die vorher bewusst nach Öffnungszeiten einplane - in letzter Zeit ist es immerhin etwas mehr geworden. Man darf auch nicht vergessen, dass man auf einer Radreise auch immer wieder aus dem geplanten Zeittakt kommt (Wetter, Pannen, unerwartete Sehenswürdigkeiten, unerwartete Faulheit, Leistungseinbrüche usw.). Die Planbarkeit hat also Grenzen.
Verzichten kommt häufig vor. Das hängt aber auch damit zusammen, dass ich viele Besichtigungen gar nicht eingeplant habe. Dann tauchen die Sehenswürdigkeiten auf und ich muss darauf verzichten, obwohl ich gerne würde. Manchmal gibt es auch geplante Sehenswürdigkeiten, auf die ich mit Blick auf den Reiseplan verzichte, es aber bei einer folgenden Radtour (auch Jahre später) nachhole. Führen die Menschenansammlungen dazu, das die Besichtigung länger dauert, kann das also sein, dass ich verzichte. Nur Verzichten, weil viele Menschen da sind, würde ich aber nicht.
Wie oben schon von anderen beschrieben, ist auch nicht jede Massenattraktion zwangsweise für mich wichtig. Ebenso kann ich Holgers Argument nachvollziehen, dass man gehobene Sehenswürdigkleiten in der Ferne eher berücksichtig als in der Nähe (Nähe kann dann auch schon mal Europa bedeuten).
Da ich auf Radreisen auch immer wieder bedeutende Städte umfahre, folgt daraus automatisch ein Verzicht auf markante Pilgerstätten. Es kann sein, dass mich das ohnehin nicht interessiert - aber eben auch der Verschiebeffekt im Hinterkopf ist. Es gibt ja auch Orte, wo ich vielleicht keine Radreise hin machen würde, aber vielleicht mal einen anderen Besuch abstatten würde. Dann könnte man auch leichter sich mal auf die beflissentlichen Kulturbesucher schlagen. Da ich gerne kleine Nischenmuseen besuche, komme ich auch gar nicht in diesen Konflikt mit großen Menschenmassen. Manche solcher kleinen Museen sind wahre Schatzkammern. Ich werde im Rahmen meines Pyrenäenberichts noch ein eher schlichtes Museum für Trobadore präsentieren, dass ich für eines der wichtigsten und schönsten in meiner Reisehistorie verzeichne. Als Schüler bin ich quasi zwangsweise durch alles gelaufen, was Rom so hergibt - die Vatikanischen Museen mögen in ihrer Größe und Fülle beeindruckend sein - einen Bezug habe ich zu dieser Kunst aber deswegen noch nie gefunden. Die Ruinen des Forum Romanum erzählten mir z.B. Geschichten und Bilder, am meisten hatten mich die Brunnen fasziniert - die Besucherdichte spielte für diese Wertungen aber keine Rolle.
Ein Mathedozent beantwortete einst mal die Frage eines Studenten, wie man denn den ganzen Wissensstoff bewältigen kann, um ein Studium durchzustehen, wie folgt: "Man muss den Mut zur Lücke haben." - Was für die Wissenschaft gilt, gilt für eine Reise umso mehr.