Re: Umfrage: Was hält dich vom Radreisen ab?

Posted by: veloträumer

Re: Umfrage: Was hält dich vom Radreisen ab? - 12/15/20 09:15 PM

Darauf gibt es viele Antworten. In vielen Fällen ergibt sich die Frage ja gar nicht, weil du in familiäre Beziehungen eingebunden bist, wo nicht alle dem Radreisen verpflichtet sind. Insofern ist die Frage sehr stark auf Singles oder einander verschworene Radlerpaare mit Abenteuersehnsucht bezogen und damit schon eine Randzone unter Radreisenden. Ein Regelfall ist der Traum von der Weltreise für die Masse der Radreisenden jedenfalls nicht.

Ich nehme mal diese meine Antwort, weil sie mir am nächsten liegt: Ich muss reisen verarbeiten können, eine Zeit, wo sich Eindrücke setzen können, ich Fotos auswerten und Texte verfassen kann, die hoffentlich inspiriert sind von der Reise. Das geht nicht ohne Ruhepunkte, sonst wird die Inspiration vom Globetrotteralltag niedergetreten. Eine lange Reise müsste bei mir also auch Stationen mehrmonatiger Ruhe haben um wieder mit Lust und freien Gedanken weiterzuziehen. Ich könnte mir sogar fremde Orte vorstellen, wo ich ein oder zwei Jahre leben würde, um ein Buch zu schreiben. Ich habe aber eher Angst davor, dass mir nichts mehr anderes einfällt oder auch zugebilligt wird als Radzureisen und es keine Bindung an ein Leben mit einer Form von Ort des Rückzugs, von Heimat, von Zuhause gibt, wo auch zugeneigte Menschen auf einen warten. Die Reise wird sonst zur Flucht. Diese Angst ist derzeit sogar ein wenig real bei mir.

Erlebnisse mit Menschen zu teilen ist ein anderer Teil der Reflektion von Reisen. Das geschieht zwar heute oft in Echtzeit über Social Media, halte ich aber nicht für nachhaltig. Die neuen digitalen Nomaden hinterlassen bei mir einen unguten Beigeschmack, da sie einem unmittelbarem Vermarktungs- und Organisationsdruck folgen, der keine inspirierte Reflektion zulässt. Um die Freude zu teilen, hat man im Idealfall also Freunde in einer Heimat, die sich auch für die Reisen interessieren. Natürlich können sich Freundeskreise ändern und verlagern, auch ins Ausland, aber sie sind nur dann nachhaltig, wenn sie auch persönlich und nicht allein medial gelenkt sind oder allein durch den Zwang des Weiterziehens zerbrochen werden.

Der Globetrotter bewundert ja Menschen in der Ferne dafür, dass sie authentisch sind, ein Leben nahe an der heimischen Natur führen, Abbild von exotischen Lebensweisen sind, die nie in die weite Welt hinausziehen. Der Kosmopolit wohnt hingegen nicht in Kirgistan in der Steppe oder im Buschmannland in Namibia, sondern ist ein stets Flüchtiger zwischen New York und Kinshasa, zwischen Andenhochland und Ganges-Delta und beamt sich im Pandemiefall zurück in seine heimatlos gewordene Heimat. Er studiert die Völker, aber bleibt selbst Mensch ohne Volksbindung. Anders gesagt: Er bewundert Menschen in der Welt dafür, was er selbst nicht machen möchte oder kann - im Einklang mit seiner gegebenen, meist angeboren Umgebung zu leben.