Re: "Die harte Tour - ein Handbuch für Extremradler"

Posted by: Krakonos

Re: "Die harte Tour - ein Handbuch für Extremradler" - 11/23/04 09:50 AM

Hallo allerseits,
na da habe ich ja richtig was verpaßt letzte Woche. zwinker Eigentlich wollte ich das "Handbuch" einfach nur lesen und Stillschweigen bewahren, aber jetzt schreibe ich doch noch ein paar Sachen, die mir aufgefallen sind. Auch ich habe das Buch aus Zeitmangel nur diagonal gelesen. Leider ist auch mir nicht viel positives aufgefallen.
Also erst mal glaube ich nicht, daß es überhaupt auch nur eine einzige Person als Zielgruppe für das Buch gibt, außer dem Autor selbst.
Einerseits wendet sich das Buch ja wohl an Extremsportler und Individualisten, die gern allein mit dem Rad das Amazonasbecken oder die Sahara durchqueren wollen. Ja er entlarvt sogar den Begriff des "Kalkulierten Risikos" als vorgeschoben, da das Risiko in solchen Fällen gar nicht vorhanden sei und risikofreies Radtouren lehnt er scheinbar ab, zumindest wird es in diesem Buch nicht behandelt. (Er schreibt allerdings nicht, wie hoch die Chancen zu sterben auf solch einer Tour mindestens sein sollten, um als Risiko und damit qualifizierend für die "Harte Tour" durchgehen zu dürfen) Andererseits wendet es sich wohl an Leute, die ein Urlaubsverständnis ähnlich dem, des typischen Pauschaltouristen haben. Interesse an Land und Leuten wird dem Leser zumindest, gelinde gesagt, nicht unterstellt. Hier im Forum gibt es ja auch einige "Extremradler", wie Jan, Waltraud, Benni usw. Die Reisen jedoch alle mehr oder weniger in der Tradition Alexander von Humbolds, Marco Polos, Livingstones usw., d.h. das Erfahren und Begreifen der Region ist wesentlicher Bestandteil der Tour. Ist es das nicht, wie im Falle unseres Schreiberlings, muß man sich auch nicht über gaffende Indianer wundern (vielleicht haben sie ja beschlossen, die "moderne" Straße einfach zu ignorieren? Ein Bischen Informationen sammeln hätte vielleicht geholfen) und man muß sich natürlich bewaffnen, wenn man wie ein Außerirdischer durch den Dschungel braust. Dies mag jedoch Geschmackssache sein, wenn man mal von der Ignoranz gegenüber den Einheimischen absieht, deren oft nicht gerade komfortablen Lebensraum man dadurch als Radrennbahn mißbraucht.
Schon erwähnt wurde mehrfach, daß bei den Fahrradteilen, Ausrüstungsgegenständen usw. am Ende immer eine ultimative Empfehlung steht. Es wird absolut kein Platz für andere Ansichten gelassen und die eigene wird sehr knapp begründet. Der Gipfel, soweit ich das Buch gelesen habe, war da wohl der Sattel, bei dem nicht nur eine ganz spezifische Art (Kernleder, gefedert, weit herunter gezogene Seiten) empfohlen wird, sondern auch gleich noch der Hersteller. Und das gerade bei solch einem heiklen Thema, wo hundert Leute hundert Ansichten zu haben pflegen. Insgesamt ist alles viel zu knapp geraten, um nützlich zu sein. Im "Exkurs: Fahrradterminologie" weist er z.B. darauf hin, daß viele Teile keine eindeutige Bezeichnung haben. Eine halbwegs vollständige Auflistung der Synonyme spart er sich aber. Sie hätte solch einem Handbuch aber sicher gut zu Gesicht gestanden. Der letzte Satz dieses Abschnittes lautet "Kurz, der Fachwortschatz bezüglich Fahrräder ist relativ komplex und muß zum Teil aus unsorgfältig geschriebenen Quellen erlernt werden ? und doch ist er lernbar: Nach einiger Zeit weiß man, was gemeint ist, wenn von Anlötern, Einbaubreiten oder Industrielagern die Rede ist." Das hilft mir gar nichts. Warum schreibt er nicht, was ein Industrielager ist und was dafür und dagegen spricht?
Im Anhang gibt es eine lange Liste mit Wörtern, die man in der jeweiligen Landessprache wissen sollte. Es wäre sicher vorteilhaft gewesen, gleich auch noch die englische, französische, spanische portugiesische, russische und evtl arabische (geschrieben und in Lautschrift) Übersetzung mitzuliefern. Sowas macht doch ein ernsthaftes Handbuch aus. Das macht zwar Arbeit, aber schließlich wollte er das Buch ja auch drucken lassen und mit Gewinn verkaufen, da muß auch ein bischen Recherche drin sein. Andererseits ist die Liste m.E. für eine "Muß man wissen"-Liste viel zu lang. Wieso muß man z.B. wissen, was blind auf portugiesisch heißt, um in Brasilien zu radeln?
Auf viele Ausrüstungsgegenstände wurde offenbar aus Unkenntnis gar nicht eingegangen. Zwar spricht er sich sehr entschieden für einen Rennlenker aus, erwähnt aber die Möglichkeit der Montage hydraulischer Felgenbremsen in Kombination mit Rennlenkern überhaupt nicht. Im Widerspruch zu späteren Aussagen (ein gewisses Lebensrisiko muß auf der "Harten Tour" schon sein), spricht er ja eigentlich wohl auch Kilometerfresser in entwickelten Regionen an. Da gibt es doch sicher auch Argumente, die für diese Kombination sprechen?
Zelte werden in ganzen zwei kurzen Absätzen abgehandelt.
Zum Schlangenbeispiel wollte ich noch etwas zur Entlastung des Schreibers sagen. Er schreibt ausdrücklich von vier Windungen, die Hüfthoch sind. Die ganze Spirale sei vier Meter lang gewesen. Hüfthoch ist also z.B. ca. 75cm. Das ergibt eine Windungslänge von 2,35m. Das mal 4 ist 9,2m. Kommt noch dazu, daß die Spirale auf vier Meter auseinander gezogen war. 9,2m+4m=13,2m. Das ist immer noch zuviel für eine Anakonda, die Größenordnung stimmt jedoch wieder. Der Schreck und die Angst haben wohl dazu beigetragen, die Verhältnisse etwas übertrieben zu haben.
Zum Schluß nach ein besonders weises und poetisches Zitat:

Was die Wüste angeht, ist hauptsächlich die Sahara von Interesse, weil sie mit Abstand die grösste ist.

zwinker Gruß Georg