Re: Live-Bericht: Nürnberg-Nordkap

Posted by: el loco

Re: Live-Bericht: Nürnberg-Nordkap - 07/25/14 06:59 PM

Lofoten - Nordkap

Alleine bin ich die Reise aufgebrochen und hatte sie auch durch Deutschland und Schweden so bestritten. Kaum in Norwegen angekommen, hätte ich nie gedacht, dass ich dermaßen wenig Einsamkeit haben werde. Nicht etwa, dass es mir was ausmacht, alleine zu sein - im Gegenteil - ich wäre sonst nicht ohne Reisegefährten auf so eine lange Reise aufgebrochen. Jedoch gefällt mir der Wechsel aus netter Gesellschaft mit Reisebekanntschaften, Couchsurfern sowie Einheimischen und dem entspannten Alleinsein, um dennoch tun und lassen zu können was man will. Letztlich bin ich froh, wieviel unerwartete aber angenehme Gesellschaft ich doch die ganze Zeit hatte und noch haben werde.

Nahezu das ganze letzte Drittel meiner Reise sollte ich aber stets Begleitung haben. Die zwei Tage nach Bodö mit Fabian, der rheinischen Frohnatur, die Festivalwoche mit Sünnje und Freunden, wie eben im letzten Bericht beschrieben, und daraufhin sollte es nahtlos weiter gehen mit Gerrit, der mich die letzten beiden Wochen von Bodö bis zum Nordkap begleiten wird. Er war der kurz hinter Oslo lebende deutsche Biologe, der mich auf einen angenehmen Abend zu sich nach Hause einlud. Wer davon lesen möchte, blättere im Forenthread hier einige Seiten zurück. Er selbst schreibt auch in seinem Blog von der Reise unter www.gerrittimmerhaus.info - aber auf englisch.

Vom WM-Finale-Schauen am Montag Mittag in Bodö zurückgekehrt, sollte ich Gerrit nachmittags treffen. Die Stadt war klein, sodass ich ihn auf seinem Liegerad im Zentrum erwischte. Bevor wir uns jedoch zur Fähre auf die Lofoten begaben, hatte ich noch etwas Spiritus für meinen Kocher zu besorgen. Von wegen, den gibt es in jedem Supermarkt! Verzweifelt graste ich einen nach dem anderen ab und keiner der gelangweilten Verkäufer konnte mir auch nicht sagen, wo ich ihn in der 50.000-Einwohner-Stadt auftreiben könnte. Schließlich fuhr ich einige Kilometer außerhalb zu einem Baumarkt, den ich auf den Hinweg entdeckte. Dort müsste es doch Spiritus geben! Tut es eigentlich auch, doch ausgerechnet der war eben ausverkauft. Es gab zwar haufenweise Sport- und Outdoor-Läden in der Stadt, die jeden Schnickschnack an Trekking-Kram haben, aber Spiritus? Weit gefehlt. Gaskartuschen, ja, in allen Variationen. Gerrit bestätigte mir später, dass er den Eindruck hatte, Gas sei hier in Skandinavien viel einfacher zu bekommen als Spiritus. Ich hatte eigentlich schon aufgegeben und wollte Gerrits Gaskocher schnorren. Er meinte zu mir, dass ich ne Angel brauche. Er ist selbst begeisterter Angler und hat natürlich eine dabei. Eine billige reiche und sei auch nicht teuer. Schließlich fand ich ein Set für insgesamt 200 Kronen (= 25 Euro). Und im selben Gemischtwarenladen auch den lang ersehnten Spiritus!

Bestens gerüstet wollten wir uns zur Fähranlegestelle begeben, um nach Moskenes auf die Lofoten überzusetzen. Die Nachmittagsfähre fiel aber einfach aus, sie sei defekt. Das erfuhren wir auch nur zufällig von der nächsten Fähre, die eineinhalb Stunden später erscheinte. Wir hielten sie für die verspätete Fähre nach Moskenes, was sie aber nicht war. Daher fuhren wir erst abends die drei Stunden und kamen recht spät an, sodass es sich nicht mehr lohnte, groß zu fahren. Der Campingplatz aber war voll und wollte uns nicht mehr aufnehmen. Es war zwar noch Platz auf der Wiese, aber der Typ an der Rezeption meinte, dass mit der letzten Fähre ein paar (wohl lukrativere) Wohnmobile ankommen werden. Voller Campingplatz... auch noch nicht erlebt! Halb so schlimm: Haben wir uns halt ein nettes Plätzchen zum Wildcampen gesucht.

Gerrit und ich freuten uns auf die Lofoten. Er war schon einmal hier wandern und ich habe mir von jedem, der schon mal dort war, die gute Landschaft bestätigen lassen. Am Abend hatten wir das wolkenlose Wetter von Bodö nach Moskenes nicht mitgenommen. Am nächsten Tag mittags aber waren wieder alle Wolken verflogen und wir radelten mit ca. 25 Grad an der Küste die Fjorde entlang und genossen die klare Sicht zu den eindrucksvollen Bergen. Die Lofoten sind so kurz! Das war mir garnicht bewusst. Nur zwei Tage später befanden wir uns schon in der direkt anschließenden Region Vesterålen. Dort verließ mich auch mein Wetterglück. Nach fast sechs Wochen mit nur drei weniger schlimmen Regentagen goss es erstmals an diesem Tag in Strömen. Von der Landschaft bekamen wir auch nichts mit, da die Wolkendecke gefühlte Zimmerhöhe hatte und durchgehend Nieselregen bescherte, wenn es mal eben nicht gegossen hatte. Da wir bis aufs Mark durchgeweicht waren, fuhren wir den einzigen verfügbaren Campingplatz an. Der Halsabschneider witterte natürlich sein Geschäft bei dem Wetter und verlangte insgesamt 50 Euro für zwei Zelte. Da eine kleine Hütte aber nur 30 Euro mehr kostete, leisteten wir uns diese zu zweit. Zum Glück hatten wir vorher im Supermarkt Bier besorgt, um darin uns für den beschissenen Tag zu entschädigen. Unsere Sachen konnten über eine aufgespannte Leine über der Heizung trocknen. Als wir uns über die Frechheit ärgerten, bei diesen Preisen noch extra 10 Kronen für 10 Minuten Warmwasser in der Dusche zu verlangen, freuten wir uns, als wir eine ausfindig machten, deren Automat wohl defekt war und durchgehend warm war. Der Abend war gerettet.

Der nächste Tag war noch immer bewölkt, wenn auch regenfrei. Daher verkommte auch er zu einem reinen Kilometerschaufeln. In nicht einmal zweieinhalb Stunden hatten wir bereits über 50 Kilometer und rechneten aus, dass wir die letzte Fähre des Tages in ebenso 50 Kilometern bei diesem guten Schnitt noch erreichen könnten. Zum ersten Mal mit sportlichen Eifer unterwegs hatten wir es geschafft und die 100 Kilometer in unter fünf Stunden geschafft. Weg vom verregneten, schmucklosen Vesterålen, hin zur ebenso wie die Lofoten gelobten Insel Senja.

In Senja angekommen haben wir endlich mal geangelt. An den Fähranlegestellen war der Fjord tief genug. Ansonsten ist das an den Küsten kaum möglich, ohne mit dem Boot rauszufahren. Gerrit hatte Anglerglück und fing einen Mini-Fisch nach dem anderen. Zu klein aber, also zurück ins Meer. Schließlich hatte er doppeltes Glück: Es biss abermals ein Mini-Fisch an, der wohl im selben Moment von einem Dorsch geschluckt wurde. Er angelte also einen Fisch im Fisch! Das Angelauswerfen konnte ich bereits von der Partie in Trondheim. Es musste nur noch einer anbeißen, daher war ich umso motivierter. Im Seegras aber verhakelten sich ständig meine Köder, sodass ich alle drei verlor und die Angelei frustriert erst einmal aufgab. Gerrit präparierte seinen Dorsch, den er später kochte und verspeiste. Ich hatte noch nie einen so frischen Fisch probiert - er schmeckte köstlich. Das beflügelte meine Angellust umso mehr.

Direkt hinter der Fähranlegestelle in Gryllefjord fand sich auch ein netter Platz zum campen. An einem kleinen Teich, der von Bergwasser gespeist wurde, war eine überdachte Sitzgruppe mit einer flachen Wiese vorhanden. Besser hätte es nicht sein können. Dort war bereits ein seltsam anmutender älterer Herr mit Reiserad zugegen, zu dem wir uns gesellten und eine lustige Begegnung werden sollte. Es war James aus England, ein ehemaliger Gabelstaplerfahrer (er war stolz, das Wort auf Deutsch gekannt zu haben), der nun aus Langeweile kündigte und durch Norwegen reiste. Ich hatte zu viel Spiritus und sparte daher nicht am Wasserkochen. Da ich auch zu viel Teebeutel hatte, die ich bis auf den ersten Nacht nicht mehr benutzte, schmiss ich ne Runde Darjeeling. Gerrit und ich gönnten uns eine Tasse - als Abwechslung zum Bier. Der Tee hatte jedoch den selben entspannenden Effekt. James aber, very british, trank nur Kaffee! Und das abends um 10 Uhr. Wir saßen noch am Tee, da machte er sich ans Zeltaufbauen und schlief binnen Minuten. Das konnten wir am Schnarchen hören.

Am nächsten Tag lag laut Karte 200 Höhenmeter vor uns. Wir stellten aber erleichtert fest, dass ein Tunnel neu gebaut wurde, der nicht verzeichnet war und uns den Anstieg erschwerten. Obwohl wir Stunden nach James starteten, trafen wir ihn direkt hinter dem Tunnel. Er zog es vor, Tunnel zu meiden, wo es geht. Drinnen aber überholte uns kein einziges Auto und er war recht breit mit Seitenstreifen.

Das Wetter war noch immer etwas bewölkt, Senja aber erfüllte dennoch unsere Erwartungen und konnte eine eindrucksvolle Landschaft vorweisen, ein traumhaftes Zusammenspiel aus Berge und Meer. Meiner Meinung nach noch schöner als die Lofoten. Wie herrlich es doch nur gewesen wäre, wenn es so sonnig wie einige Tage zuvor gewesen wäre.

Tromsø, die letzte größere Stadt, lag 50 km vor uns. An der Fähranlegestelle den Abend vorher versuchte ich abermals mein Anglerglück. Und tatsächlich, ich hatte nach einiger Zeit einen Dorsch an der Angel! Gerrit hatte auch einen Fisch geangelt, sodass wir den Abend beide lecker essen konnten. Von meinem ersten Fang motiviert, wollte ich natürlich den Fjord leerfischen - dieser aber schluckte wieder meine Köder und ich verlor einen nach dem anderen. Als der letzte festhing, zog ich dermaßen frustriert an der Angel, sodass sie brach und die Teleskopstange ins Meer fiel. Ich war sauer und amüsiert zugleich. Und schämte mich auch etwas vor den anderen Anglern, die kurze Zeit nach uns alle auftauchten und ihr Glück versuchten. Mit gebrochener Angelrute und dem Dorsch verließ ich stolz und beschämt zugleich die Anlegestelle und warf das kaputte Teil in den Müll. Ein teurer Dorsch für 40 Euro, dachte ich mir zuerst. Aber letztlich war der Angelspaß auch nicht zu verachten.

So kurz es auch noch bis Tromsø war, so sehr zog es sich auch irgendwie. Grund dafür waren größere Steigungen. Dort angekommen aber gönnten wir uns erst einmal ein Kilo Garnelen, die garnicht einmal teuer waren! Mit einem Baguette und Frischkäse vom Supermarkt verdrückten wir die Tüte am Marktplatz. Die Sonne war auch draußen und so gute Shrimps hatte ich zuvor nicht gegessen. Nachdem wir eine Verdauungspause einlegten, indem wir Fotos vom Markt, den anlegenden Hurtigruten und der Eismeerkathedrale machten, begaben wir uns wieder auf dem Weg - es war ja gerade mal früher Nachmittag.

Die letzten beiden Fähren standen an und wir begaben uns nach Lyngen. Gerrit meinte, die Landschaft werde auch die Lynger Alpen genannt. Als ich sie im wolkenlosen Sonnenschein betrachten konnte, wusste ich auch warum. Ich fuhr entspannt und begeistert wie selten. Kein Verkehr und beste Landschaft - so kann es bleiben.

Das Ziel war zum Greifen nah! Das Nordkap war nur noch einige Tage entfernt und nur noch Alta war eine etwas größere Stadt. Sie liegt 230 Kilometer vor dem Kap und war eigentlich nichts Besonderes. Das Schönste von Norwegen sollten wir wohl schon gesehen haben. Dennoch erfreuten wir uns an der wechselnden Landschaft - der endlos weiten und baumlosen Hochebene und die Küstenstraße hin zu Magerøya, der Insel, auf der das Nordkap liegt. Am vorletzten Tag, bevor Gerrit und ich unser Ziel schließlich erreichen sollte, verließ mich letztlich auch das Wetterglück, dass mir eigentlich mehr als genug hold war. Zunächst startete ich T-Shirt und freute mich, später davon berichten zu können, den quasi nördlichsten Punkt ohne Jacke erradelt zu haben. Die Küste zum Nordkaptunnel aber wurde schnell von übelsten Winden heimgesucht, sodass wir sogar bergab fast nicht radeln konnten. Gerrit im Liegerad hatte es da aufgrund der windschnittigen Position etwas einfacher, ich aber fuhr teilweise arg windschief auf der Geraden. Ich freute mich fast schon auf den üblen Nordkaptunnel, da dort der Wind weg wäre. Wir waren ja schon einige Tunnel gefahren und alle waren mehr oder minder erträglich. Im Nachhinein aber meine ich, dass er wirklich der Schlimmste auf der ganzen Strecke war. Nicht nur wegen der Länge von 7 Kilometer, sondern auch aufgrund der Abfahrt und der anschließenden Steigung - er geht ja unter dem Meer durch. Die Ventilatoren erschienen mir auch so laut wie in keinem anderen Tunnel, ganz zu schweigen die ganzen LKWs, Busse und Motorräder. Knatternde Chopper waren dabei am schlimmsten. Hätte ich das gewusst, hätte ich Ohrenstöpsel eingepackt. Der Lärm war wirklich das Schlimmste am Tunnel.

Aus dem Tunnel die 200 Höhenmeter trampelnd und schwitzend rausgekommen, war der Wind nicht weniger geworden. Mehr noch: es gesellte sich ein penentranter Nieselregen dazu. Genervt fuhren wir die paar Kilometer nach Honningsvåg, der letzten Einkaufsmöglichkeit 30 Kilometer vor dem Nordkap. Die Besorgungen erledigt, wollten wir uns auf zum nächsten Campingplatz machen und uns von den Strapazen erholen. Mein Rad wollte aber nicht: Einen Platten am Hinterrad! Oft berichtete ich Gerrit stolz, noch nie auf Tour einen Platten gehabt zu haben - auch nicht auf den 4000 Kilometern, die nun hinter mir lagen. Tja, das war dann nun mein erster. Zum Glück hatte ich Ersatzschlauch dabei und meinen aufs Übelste abgefahrenen Mantel durch einen neuen Faltreifen getauscht, den ich seit Bodö an den Rahmen gebunden hatte. Auf dem Campingplatz 25 Kilometer vor dem Nordkap beschlossen wir, heute nicht mehr weiterzufahren. Schließlich lagen schon grausame 100 Kilometer hinter uns und die gesamte Insel war so vernebelt, dass man die Hand nicht vor den Augen sah.

Der heutige Tag begann sonnig! Eigentlich wollten wir die 5 Kilometer zurück zum Supermarkt um Grillfleisch und Bier für das Nordkap zu besorgen. Wir entschieden uns aber, gleich gen Norden aufzubrechen, um eventuell ein paar Sonnenstrahlen oben zu erwischen! Teilerfolg: Wir fuhren die knapp 2 Stunden und 750 Höhenmeter durch Sonne, Sturm und Nebel. Von entgegenen kommenden Radlern ließen wir uns bestätigen, dass es am Kap klar sein sollte.

Noch nie fuhr ich die Steigungen so motiviert und realisierte noch nicht, dass meine Tour gen Norden in wenigen Kilometer quasi vorbei sein sollte und der Zielort erreicht wurde, den ich nun seit über 8 Wochen anfahre. Als natürlich ultraharter, langhaariger, gestandener Kerl fällt es mir schwer zuzugeben, dass mir vor Ergreifung einige Tränen kamen, als ich die Weltkugel zum ersten mal hinter den Nordkaphallen erblickte. Wenn man wohl so lange auf das Ziel hinarbeitet und dazwischen so viel Anstrengungen und Erlebnisse hatte, ist so eine Reaktion mehr als verständlich. Diese Momente sind es, die große Radreisen ausmachen. Die ganzen Auto- und Motorradfahrer, die wir oben trafen, waren zwar etwas erfreut, schossen ein Selfie und dampften wieder ab. Klar schossen auch wir Zielfotos, niemand anderes schien aber so begeistert wie diejenigen, die

Es ist nicht der Zielort selbst, der wirkt, sondern die Art, wie man ihn bereist. Klar, jeder der schon einmal oben war und mir davon berichtete, bestätigte mir eine reine Touri-Halle mit einer unspektakulären Steilklippe mit Weltkugel drauf. Was anderes erlebt man aber auch nicht, wenn man konventionell anreist. Mit dem Fahrrad erlebt man die Welt einfach intensiver, sodass die Begeisterung meiner Reise unterwegs niemals abbrach.

Pünktlich, als wir die Fotos geschossen hatten, zog wieder eine dicke Nebelsuppe auf. Es ist Freitag, wir freuen uns über freien Strom und Wlan in den Hallen und trinken nun ein Bier auf unseren Erfolg, das so teuer ist wie unsere Freude groß. Gerrit wird morgen von seinen Eltern hier abreisen. Ich überlege, eventuell noch bis Sonntag zu bleiben, um auf besseres Wetter zu hoffen. Mein Flug zurück geht ja erst donnerstags früh von Alta aus. Der Wetterbericht ist zwar nicht gerade optimistisch, aber auf den kann man sich hier oben eh nicht verlassen und vielleicht beschert mir mein bisheriges Wetterglück ja die Mitternachtssonne...

Gruß vom Nordkap
Manuel