Wer ist wartepflichtig, wenn in einer Fahrradstraße (mit Anliegerberechtigung für Kfz.) rechts Autos parken, an denen ich links vorbeifahren möchte, aber aus der Gegenrichtung ein Auto kommt.
Wer so denkt, um Recht zu haben, hat im Straßenverkehr nichts verloren. § 1 StVO.
Wen die Rechtslage so ist, dann hat recht, wer so denkt. Wenn einer warten muss, warum sollte es dann nicht grundsätzlich derjenige sein, der es rechtlich muss? Grundsätzlich = unter Ausnahmevorbehalt: Natürlich würde ich auch in solchen Situationen je nach dem auch warten, situativ halt. Oder anderweitig Platz machen, etwa kurz auf dem Gehweg fahren, wenn es einen gibt und keine Fußgänger da sind.
Aber warum sollte man nicht fragen dürfen, wie eine Situation rechtlich zu bewerten ist? Und ggf sein Recht kennen? Und deshalb nicht am Straßenverkehr teilnehmen? StVO inkl. Paragraf 1gilt ja auch für den Autofahrer in diesem Beispiel.
In dem Fall gibt es aber eine recht eindeutige Regelung, die aber selten so eindeutig praktiziert wird: Vorrang hat der, der kein Hindernis in seiner Fahrrichtung hat, warten muss der, der in Fahrrichtung ein Hindernis hat. in dem Fall stehen die parkenden Autos einschränkend auf deiner Fahrbahnseite, also musst du warten. In der Mehrzahl der Fälle winken dich aber Autofahrer vor, so ist meine Erfahrung.
Hier in Stuttgart gibt es ein paar Stellen, wo Radfahrer gegen die Einbahnstraße fahren dürfen, der nötige Platz aber fehlt. Warten oder auf Zeichen des anderen warten funktioniert nicht, weil die Strecken zu lang sind. Entsprechend kannst du nur improvisiert dort einfahren und dich außerhalb von Regelwerken mit dem entgegen kommendenen Autofahrer arrangieren. Das Problem ist oft, dass die Verkehrsplanung nicht im Einklang mit Vorschriften stehen. Das hat oft damit zu tun, dass der politische Wille da ist, das Fahrrad zu fördern, aber der nötige Platz dafür nicht geschaffen wird, weil man das Auto weiterhin auch nicht verdrängen will, weil der ja auch Geld in die Stadt bringt. Die Einbahnregelung ist ein solch typisches Beispiel für diesen Widerspruch. Der Bund hat die Aufweichung der Einbahnstraßen für Radler ja vorgegeben, die Gemeinden müssen dann irgendwie darauf reagieren, jedoch ohne Geld im Säckel oder auch ohne den Willen, das Auto in seinem Wirkungskreis zu beschneiden.
Es gibt eine Reihe von Vekehrssituationen, die man bei strenger Regelauslegung gar nicht bewältigen kann - sprich, du würdest nicht weiterkommen mit deinem Fahrzeug. Der Gesetzgeber hat dafür aber auch Regelungen vorgesehen. Neben dem immer zitierten 1er Paragraphen bist du als Verkehrsteilnehmer auch aufgerufen, unübersichtliche Situationen durch aktive Teilnahme im Miteinander zu lösen - also z.B. durch ein Zeichen dem anderen Verkehrsteilnehmer zu signalisieren, dass du auf ein denkbares Vorfahrtsrecht verzichtest. Auch rote Ampeln darfst du überfahren, wenn du einen Fehler der Ampelanlage vermutest. Der Gesetzgeber hat dafür sogar Wartezeiten festgeschrieben, die du aber im Zweifel vor Ort anpassen musst. Bei der Bundeswehr gab es mehrere Dienstorschriften, die genau das eigenständige Handeln in speziellen Situationen in fast schon komödiantischer Weise formuliert haben: "Ab einer Wassertiefe von 1,50 m fängt der Soldat selbstständig mit Schwimmbewegungen an."

Vielleicht braucht es sowas ähnliches auch noch in der StVO?
Bisweilen kommt es auch mal zu einem Hin-und-Her von Kulanzgesten. Deswegen nutze ich jede Kulanzgeste zur Weiterfahrt, auch wenn die Vorfahrtssituation eindeutig gegen mich spricht. Nicht selten werde ich bei Links-vor-Rechts von links kommend vom Autofahrer durchgewunken. Bekannt sind auch Situationen an Fußgängerfurten, wo oft Vorrangrechte getauscht werden. Man muss natürlich die Gesamtsituation auch im Blick haben: Ich habe mal in Südfrankreich mit Auto eine Frau mit Kinderwagen mit Geste zum Übertritt der Straße über einen Zebrastreifen ermuntert. Das war bei starkem Verkehr. Weder der Gegenverkehr wollte anhalten, noch war die Geduld hinter mir vorhanden. Es kam zu einem Hupkonzert und ich musste weiterfahren, ohne dass die Frau die Straße gequert hatte. (In Frankreich ist der Zebrastreifen keine automatische Vorrangberechtigung für Fußgänger - war zumindest damals so.)