Posted by: lytze
Re: Von Catania nach München (fast) - 01/03/13 08:12 PM
Teil 2:
1. Tag:
Montag, 30. April 2012
Penzberg – München - Catania
Heute geht es los. Nach dem Frühstück noch ein letzter Spaziergang. Das Fahrrad wird für den Flug verpackt und für die 50 km bis zum Flughafen auf dem Radträger verzurrt. Und es regnet auch nicht – sonst wäre der Karton schon vor dem Flug aufgeweicht und damit unbrauchbar geworden. Nach einem kleinen Imbiss zu Mittag und dem Abschied von der Familie geht es dann (endlich!) los.
Nach einer kleinen Ehrenrunde um das Abfertigungsgebäude herum (dabei war der Hinweis auf AirBerlin wirklich groß genug) und einem Parkplatz direkt vor dem Gebäude stehe ich am leeren Check-In-Schalter und habe schon die ersten aufregenden Minuten vor mir: Die Mitarbeiterin findet mich im System nicht und vermutet, dass ich erst sehr kurzfristig gebucht habe. Erst mein Hinweis, dass ich bereits vor über einem halben Jahr schon gebucht hatte und der Flug irgendwann vom Vormittag auf den Nachmittag verlegt worden sei, bringt sie (und mich) weiter; sogar die Sportgepäck-Buchung (Fahrrad) findet sich. Und ich bekomme auch nochmal die Hinweise für die Rad-Herrichtung, zusätzlich zu den bereits bekannten auch noch das Erfordernis des Ablassens des Reifendrucks, was ich treuherzig und glaubwürdig zusichere (aus den Forendiskussionen war mir bekannt, dass dies seit längerem schon nicht mehr erforderlich ist wegen des Druckausgleichs auch im Frachtraum. Aber egal. Dann erfolgt der Abschied vom Gepäck (den beiden Ortlieb-Taschen, die mit einem Schlauchband zu einem Gepäckstück zusammengezurrt sind) und Rad (das ein Mitarbeiter dank seiner Fahr-Fähigkeit zu einer Aufzugsgroßkabine fährt – hoffentlich bekomme ich in Catania wieder alles heil zurück!
Ich gehe gleich durch die Sicherheitskontrolle, die wirklich streng ist: Ich – auch als grauhaariger Opa – werde sorgfältig gefilzt, die ganze Elektronik wird untersucht (Foto, GPS, Smartphone, Laptop, ebook usw.). Aber: Keine Beanstandung!
Für mich beginnt dann eine zweistündige Wartezeit, bis dann der Flug aufgerufen wird und ich an Bord gehen kann. Ich habe meinen Platz am Fenster vor dem Flügel reserviert und auch eine gute „Aussicht“ unterwegs.
Die Maschine startet dann um 17.30 Uhr, es gibt ein schauderhaftes Käsebrötchen und den schlechtesten Kaffee der Reise, aber besser hier als unterwegs... Schöne Blicke auf die Alpen, später die Po-Ebene und das Bergland im Mittelteil des italienischen Stiefels – es ist überwiegend wolkenfrei. Hinter Rom geht es dann an der Westküste entlang und über das Meer Richtung Sizilien und es wird etwas diesig und auch schon etwas dämmerig, aber man hat trotzdem eine gute Sicht auf das Innere der Insel und vor allem auf den Ätna. Die Kuppe ist schneebedeckt und die Rauchfahne ist deutlich zu sehen. Und dann beginnt auch schon der Landeanflug auf den Flughafen von Catania, der im Süden der Stadt liegt.

Um 19.30 Uhr landen wir – und es heißt wieder warten bis zum Aussteigen, dann die kurze Fahrt mit dem Bus zum Ankunftsgebäude und das Suchen des richtigen Gepäckbandes. Meine Ortliebtaschen – unverwechselbar – kommen nach einigem Warten, aber sie haben Zuwachs bekommen: Irgendjemand hat einen Kinder-Autositz daran festgebunden. Den löse ich mal gleich ab – und es kommt auch eine Mutter angelaufen, die den Sitz vermisst...

Wie komme ich jetzt zu meinem Fahrrad? Einer meiner einstudierten Sätze handelt von der „Gepäckausgabe für Sondergepäck“ bzw. dem „Schalter für verloren gegangene Gepäckstücke“. Zunächst zeigt man mir das Förderband für Sondergepäck, das leer herumfährt. Aus dessen Ausgabeschlund kann mein Rad nicht kommen, dazu ist die Öffnung zu klein. Ich wende mich also doch zum Sonderschalter, wo man nett, aber hilflos lächelt. Ich lächele auch, noch hilfloser, und sehe dann aus den Augenwinkeln einen großen Karton in der Ecke stehen, einen Karton mit Rädern unten dran. Mir fällt ein Stein vom Herzen!

Ich suche mir eine ruhige Ecke in der Gepäckhalle – es ist ohnehin nicht mehr allzuviel los am Abend – und packe mein Rad aus und stelle die leere Kartonhülle hinter einen unbesetzten Auskunftsschalter an der Seite – eigentlich unsichtbar für „Außenstehende“. Aber ich habe die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Plötzlich steht ein uniformierter Flughafenmitarbeiter neben mir, deutet auf den Schalter und gibt mir deutlich zu verstehen, was ich mit dem Karton zu machen habe: Mitnehmen! Natürlich stimme ich dem zu, denn für eine großartige Diskussion fehlen mir erstens die Zeit und zweitens die Sprachkenntnisse, mal abgesehen davon, dass er ja auch ein bisschen Recht hat...
Ich montiere zunächst mal alle Teile wieder richtig ans Rad, hänge Taschen und Lenkertasche dran und bin soweit abfahrbereit. Unter den wachsamen Augen des Uniformierten packe ich die leere Verpackung oben drauf und schiebe mein Gefährt aus der Gepäckhalle in die große Ankunftshalle, in der alles durcheinander wuselt: Besucher, Reisende, Abholer, Kinder, Gepäckkarren – dazwischen ein älterer Herr mit einem vollgepackten Fahrrad, der unauffällig einen großen, leeren Karton unter eine Rolltreppe legt und sich dann mit schnellen Schritten zum Ausgang begibt.
Draußen ist dunkle Nacht. Es ist angenehm warm! Es ist trocken! Mittlerweile ist es fast 21.00 Uhr, also schalte ich mein Licht an, ziehe den Helm über und radle langsam und vorsichtig los.
Mein italienisches Abenteuer hat begonnen!
Ich hatte bei der Reisevorbereitung für die erste Nacht in Catania das Hotel schon vorgebucht und natürlich auch einen passenden, besonders „naheliegenden“, Anhaltspunkt zum Auffinden gewählt: Den Hauptbahnhof. Die Strecke vom Flughafen dorthin hatte ich mittels googlemap und google-earth genau ausgekundschaftet, so dass ich eine gute Vorstellung meiner Fahrtrichtung hatte. Zunächst muss ich mich aber an meine Zuladung gewöhnen, außerdem war ich schon längere Zeit nicht mehr im Dunklen gefahren...
Aber das geht recht flott. Meine Straße führt nach Nordosten, dorthin muss ich, sie ist außerdem zweispurig in jede Richtung und einigermaßen befahren. Dann biegt sie nach Nordwesten ab. Richtung Stadtzentrum. Nicht meine Richtung! Also an einem Grill anhalten und fragen: Wo ist die Richtung zum Hauptbahnhof? Unsichere Blicke auf mich und das Rad, dann die Gegenfrage „Per biccicletta???“. „Si!!!“. Die Richtung gibt es dann per Handzeichen, dorthin, wo ich sie ungefähr vermute. Es führt auch eine Straße dorthin, richtiger: Es kommt auch eine Straße von dort, eine Einbahnstraße. Also schiebe ich ein Stück, bis sich zu der Einbahnstraße eine weitere Fahrbahn gesellt, die ich befahren darf.
Nach insgesamt einer halben Stunde Fahrt stehe ich am Hauptbahnhof – von hier aus sind ich dank der Hilfe eines Taxifahrers und eines Olivenhändlers dann noch 5 Minuten bis zu meinem Hotel. Man wartet bereits auf den Reisenden aus Alemania, hat in der Hotelgarage schnell einen Platz für mein Rad gefunden (das ich – ABUS sei Dank – auch gut ankette), und ich mit zwei Transporten habe ich dann auch meine Gepäck im Zimmer. Geschafft!
Im Zimmer zunächst einmal heiteres Rätselraten: Wo ist was? Es wird Tage dauern, bis die Ordnung im Kopf mit der in den Taschen übereinstimmen wird. Aber ich habe ja Zeit! Bei einem Stück Brot, einer kleinen Salami und einem Glas Wein (von zu Hause mitgebracht, aber immerhin aus Italien...) komme ich zur Ruhe, während draußen irgendwo im Häusergewirr hinter dem Hotel ein Hund wie irre bellt. Ich werde wohl trotzdem gut schlafen, nach dem Tag und den Aufregungen, die hoffentlich in den nächsten Tagen nachlassen.

Um 23.00 Uhr ist Schluss und ich schlafe.
Daten des 1. Tages:
Ca. 10 km auf Meereshöhe
Übernachtung im Hotel „Romeo“ in Catania
Gesamtstrecke: 10 km
Im Süden
2. Tag:
Dienstag, 01. Mai 2012
Catania – Messina – Scilla
Trotz des guten Beginns am Abend vorher schlafe ich nicht gut – zu viele Wenns und Abers geistern durch meinen Kopf. Der Wecker piept mich dann recht früh aus dem Schlaf, der dann doch irgendwann gekommen war.
Frühstück gibt es bei geöffneter Terrassentür, blauer Himmel und Sonne schon um 7.00 Uhr, dazu ein Frühstück, das so garnicht meinen Befürchtungen entsprach, sondern sehr umfangreich ist und eine prima Grundlage für den Tag gibt. Aber ich habe nicht den Nerv, es bis ins Letzte auszukosten: Ich will los! Schnell gepackt (wieder die Überlegungen, wo was hin kommt, was oben in die Taschen und was unten), das Rad aus der Garage geholt – Gott-sei-Dank istr alles damit in Ordnung – die Radtaschen anmontiert, Helm auf und Handschuhe an, ein Foto durch den Herrn von der Rezeption – und es geht um 8.30 Uhr endlich los, zurück zur Hauptstraße, die zur Küstenstraße Richtung Messina wird.

Bei meinen Vorüberlegungen spielte auch eine Rolle, dass der 1. Mai auch in Italien Feiertag ist und ich mich somit an den Verkehr außerhalb des werktäglichen Wahnsinns gewöhnen kann. Das ist auch tatsächlich so: Die Straßen sind angenehm leer, an der Uferpromenade in Catania sind Jogger und „Hundemenschen“ unterwegs, auch einige Radfahrer mit ihren Rennrädern. Ein Bild, dass ich an den folgenden Wochenenden mehrmals sehe.

Die Straße (SS114) führt teils direkt an der Küste entlang, teils mit einigen hundert Metern Abstand, jedoch fast immer in Sichtweite des Strandes. Es geht immer etwas auf und ab – bis zum Abend addieren sie sich dann doch auf fast 1000 Höhenmeter. Zum Landesinneren hin ist alles sehr grün, hier wird intensiv Landwirtschaft betrieben, Es steigt Richtung Ätna auch steil an, einige Städte und Dörfer liegen sehr malerisch auf halber Höhe – dorthin führt die Küstenstraße aber nicht, und auch ich lasse mich nicht locken. Allmählich wird der Verkehr doch stärker, Familien, die einen Ausflug machen, viele Vespafahrer, aber mit rücksichtsvollem Abstand zu mir. Häufig wird von hinten gehupt, nicht um mich zu ärgern, sondern rechtzeitig zu warnen, so wirkt es zumindest.

An den Stränden der größeren Orte (Giardini-Naxos, Taormina, Santa Teresa di Riva, Nizza di Sicilia) beginnt sogar schon das Strandleben: Familien mit Körben, Stühlen, Boxen, Sonnenschirmen – aber im Wasser sind nur ein paar Kinder. Blickt man dann von der Küste weg ins Landesinnere, hat man den Ätna mit seiner Schneekuppe vor sich – wie gestern auch schon mit einer deutlichen Rauchfahne. Der dunkle Dreck am Straßenrand entpuppt sich dann bei genauerem Hinschauen als Asche vom Ätna-Gipfel. An den Vulkan erinnern dann auch in den Städten, durch die ich komme, immer wieder die dunklen Basaltplatten, ca. 50 x 50 cm groß, die diagonal und mit größeren Fugen verlegt sind. Ich begegne ihnen auch später in Salerno, Pompeji, Neapel und Rom wieder – und zwar mit ziemlichem Respekt: Sie sind – ähnlich wie Kopfsteinpflaster – recht holprig zu befahren und vermutlich bei Nässe glatt wie Schmierseife.

Eine Besonderheit, die mir nur auf dieser Strecke und an diesem Tag aufgefallen ist, sind die verschiedenen Gegenstände, die an den Zäunen entlang der Straße angebracht sind: Plastiktüten, Schuhe, Strümpfe, Stofffetzen, Reifenteile – ein buntes Sammelsurium, das an den Stellen ohne Zaun achtlos am Straßenrand liegt, während es an anderer Stelle fast schon liebevoll und kunstreich aufgehängt ist.

Ansonsten ist Müll und Abfall in jeglicher Form und Menge ein Dauerthema für den Radfahrer: Er begegnet einem auf fast jedem Meter. Ich frage mich, wie man nur so mit seiner Heimat umgehen kann. Dagegen sind die „Müllzäune“ wahre Alltags-Dauerausstellungen, die mir später auf dem Festland, auch in Kalabrien, nicht mehr aufgefallen sind. Aber im Übrigen: Auch im Umfeld unserer McDonald-Filialen ist die fast-food-Vermüllung mittlerweile ja auch Alltag...

In Santa Teresa di Riva, etwa auf halber Strecke zwischen Catania und Messina, mache ich am Strand unter einer Palme eine Pause, esse eine Banane und ein halbe Tafel Ritter-Sport, die weg muss, ehe sie ganz zerschmilzt. Es ist nämlich ganz schön warm geworden, so dass ich mich – wie dann auch an fast allen Folgetagen – gut eincremen muss. Auch im weiteren Verlauf bleibe ich in Meeresnähe, wobei die Küstenstraße bei den Bachmündungen immer ein paar hundert Meter weiter im Landesinneren verläuft – dort ist dann eine relativ kurze Brücke über den Bachlauf, während es weiter unten, am Wasser, eine Brücke von größerer Länge erfordert hätte. Danach führt die Straße wieder zum Meer und führt direkt an diesem entlang.

Messina als eine der großen Hafenstädte von Sizilien spielt vor allem wegen des Fährverkehrs mit dem Festland eine große Rolle. Eine Brücke bzw. ein Tunnel zur Überwindung der Meerenge sind bereits länger konzipiert, scheitern aber immer an den enormen Baukosten. Sizilien ist an der schmalsten Stelle etwas mehr als 3 km vom Festland entfernt; auffallend sind die beiden 230 Meter hohen Masten, die viele Jahre die Hauptstromleitung trugen – mittlerweile wird der Strom aber direkt auf Sizilien produziert bzw. per Seekabel vom Festland transportiert.

Vom Transitverkehr merke ich wegen des Feiertages wenig, es sind überwiegend Ausflügler unterwegs. Der Fährhafen ist rechtzeitig ausgeschildert, aber auch etwas verwirrend, weil für mich als Radfahrer ja der Personenfährverkehr gilt, ich mich aber zunächst an den Schildern des PKW-Fährverkehrs orientiere. Verständlich, dass ich dadurch im falschen Hafenbereich lande. Ich finde aber dann doch „um die Ecke“ meinen Hafen. Eine Fähre legt gerade ab und fährt mir vor der Nase davon – nicht schlimm, weil es die nach Reggio di Calabria ist (dem südlicheren Fährhafen auf dem Festland), während ich nach Villa San Giovanni möchte, etwas nördlich von Messina gelegen. So habe ich eine Stunde Zeit, die Leute zu beobachten, Tagebuch zu schreiben und … zu warten.


Die Überfahrt mit einem Turboliner geht rasend schnell – für mich und das Rad zahle ich 2,50 Euro. Ich bekomme einen Platz am Heck außerhalb des Passagierraumes zugewiesen, dort binde ich das Rad mit einem Tau an einer Eisentreppe (Niedergang) fest und kann mich dann frei bewegen. Es gibt rück- und vorwärtsblickend auch viel zu sehen. Nach etwa 20 Minuten sind wir bereits am anderen Ufer – nur hier kann ich nicht ohne Probleme von Bord: Der Ausstieg ist ein „Stockwerk“ höher angebracht, ich muss mit meinem Zeug die Treppe hoch.

Also: Blitzschnell das Gepäck abgeschnallt, hochgebracht, Rad nachgeholt, wieder alles zusammenmontiert, ab an Land und den Weg vom Hafengelände Richtung Küstenstraße gesucht.
Einen Unterschied auf dem Festland im Vergleich zu Sizilien kann ich eigentlich erst einmal nicht feststellen. Es riecht gleich – eine Mischung aus Müll, Kräutern, Rauch, Abgasen und Meer, es sieht ähnlich aus, nur dass jetzt das Meer auf der linken Seite ist statt bisher rechts, die Straße und der Verkehr sind ähnlich. Einen weiteren spürbaren Unterschied gibt es allerdings: Ich habe Gegenwind, seit ich von der Fähre runter bin. Und es ist gut, dass ich zu dieser Zeit noch nicht weiß, dass das fast die kommenden drei Wochen so bleiben wird, allerdings mit unterschiedlicher Stärke.
Das Hinweisschild SS18 SALERNO 560 km steht kurz hinter dem Fährhafen, und damit habe ich dann mal eine Ansage. Wenn ich das geschafft habe, dann liegt der Süden hinter mir, dann ist es nicht mehr weit bis Neapel, und Rom ist auch schon greifbar. Aber zunächst muss ich schauen, dass ich eine Unterkunft für die Nacht finde, denn am ersten Tag möchte ich es nicht übertreiben. Als Tagesziel habe ich mir das Küstenstädtchen Scilla ausgesucht, etwa 15 km nördlich von Villa San Giovanni. Das Wetter spielt – bis auf den Gegenwind – weiterhin mit: Angenehm warm und vor allem trocken. Es geht ständig auf und ab, rauf und runter – auf einer so gut wie leeren Straße.
Das ändert sich allerdings schlagartig, als ich Scilla erreiche. Die Durchgangsstraße ist auf beiden Seiten dicht an dicht zugeparkt, es bleibt gerade Platz für die beiden Fahrspuren, auf denen dichter Verkehr herrscht. Auf der rechten Spur ich, vor mir eigentlich nichts, aber hinter mir sehr viele Fahrzeuge – die aber nicht überholen können, weil zu viel Gegenverkehr herrscht. Hier erlebe ich auch zum ersten und einzigen Mal, dass mein Hintermann wütend hupt, sehr dicht auffährt und mir bzw. der linken Radtasche sogar einen sanften Stoß gibt, als er dann doch an mir vorbei zieht. Und zum ersten und einzigen Mal auf der Tour hebe ich den linken Mittelfinger und schleudere ein empörtes „Stronzo“ hinterher!
Ich biege von der Hauptstraße ab in den Ort, Richtung Strand, und lasse mich etwas treiben – halte rechts und links Ausschau nach einem HOTEL- oder ALBERGO-Schild. Von meiner Internetrecherche wusste ich, dass es eine kleine Auswahl geben muss. Eine kleine Pension finde ich am Hafen, aber auf mein Klingeln reagiert niemand. Also zurück zum Hauptort, und dort finde ich Nr. 2 auf meiner Liste direkt. Ein kleines Hotel (KRATAIIS), sehr sauber, schönes Zimmer mit einem modernistischen Badezimmer (als Glaskäfig in das Zimmer integriert) und einer Jet-Duschanlage, die ich ausgiebig teste. Ich ziehe mich um und suche mir was zum Essen: Pizza in einem Strandlokal, viele junge Leute, viele Familien mit Kindern sind hier ebenfalls zu Gast. Also wohl keine „Touristenfalle“.
Ich mache anschließend noch einen Abendspaziergang. Draußen am Strand stehen die Stände mit dem Nippes, den Sonnenbrillen, den Handtaschen und dem Muschelschmuck, z.T. mit Beleuchtung, weil es doch langsam dunkel wird.
Ich gönne mir zur Feier des Tages ein kleines Eis, das ich in der Dunkelheit am Strand esse und aufs Meer hinaus schaue. Dann gehe ich aber ins Hotel – für heute ist es genug.
Die Bilanz für heute:
116 km in 6:45 h, 980 hm+ und 980 hm-
Übernachtung im Hotel „Palazzo KRATAIIS“ in Scilla
Gesamt: 126 km
3. Tag:
Mittwoch, 02. Mai 2012
Scilla – Palmi – Nicotera – Tropea
In der Nacht habe ich heftige Wadenkrämpfe, die Bedenken aufkommen lassen, ob ich die Steigungen an der bergigen Küstenstrecke heute wohl schaffen werde. Aber nach einer schnellen Tasse Kaffee und einem … nennen wir es mal „ausgehenden kontinentalen Frühstück“ – dem letzten seiner Art bis nach Tirol voraussichtlich – von dem ich ohnehin nicht viel essen kann, geht es dann wieder zur Küstenstraße.

Hier wärme ich mich gleich mal an einer 80-Meter-Steigung auf, dann aber habe ich für eine halbe Stunde eine herrlich leere Küstenstraße für mich. Rechts oben in den Küstenbergen sehe ich immer wieder die (mautfreie) Autobahn, die mir den Verkehr vom Halse hält.

Es ist noch recht diesig am Morgen, aber das legt sich, bis ich in Bagnara Calabra bin. Ich hatte bei der Routenplanung festgestellt, dass hier die erste Bergetappe meiner Reise sein wird, und gehe die Auffahrt dann auch gemächlich an. In mehreren Serpentinen schraubt sich die Straßen den Berg hoch, ca. 500 hm von Null an. Ich lasse mir Zeit zum Schauen, weil die erste Hälfte des Aufstiegs noch durch den Ort führt, mit kleinen Läden, Kirche, Friedhof usw. direkt an dem steilen Straßenstück. Es gibt viele ältere Leute, ältere Autos, Hunde und Katzen, gelegentlich mal ein Auto, dass mich schnaubend überholt.

Am Ortsausgang eine kleine Pause mit einem tollen Blick zurück auf den Ort und die bisher zurückgelegte Strecke auf der Küstenstraße. Dann geht der Aufstieg weiter, jetzt durch eine rauhe, etwas öde Landschaft, hier wieder mit jede Menge Müll und Dreck am Straßenrand, und hier auch wieder diese typische Geruchsmischung wie am Vortag auf Sizilien. Die Straße führt ein Stückchen über das Plateau, dann geht es wieder – in einer langen Abfahrt – runter in Küstennähe.

Ich fahre durch Palmi, den ersten größeren Ort seit Messina, dann führt die Straße zunächst immer noch etwas landeinwärts, schließlich aber wieder zum Meer zurück, zum Küstenort Gioia Tauro. Hier ist sehr viel Verkehr, viele Lastwagen, auch Industrie. Der Schwerverkehr erklärt sich durch den neuen Containerhafen, an dem die Straße ein gutes Stück vorbeiführt. Bis Nicotera geht es durch die Küstenebene, dann schraubt sich die Straße wieder von Null auf 350 m hoch, und zwar im ersten Teil – noch im Ort selbst – so steil, dass ich anfangs nur schieben kann.


Es geht wieder leicht auf und ab, so langsam summieren sich doch die Meter. Irgendwann unterwegs gibt es eine kurze Pause mit einem Panini mit Salami, aber mir ist klar, dass ich heute nur bis Tropea fahre – dort bin ich dann nach einer flotten Abfahrt und insgesamt fast 8 Stunden im Sattel gegen 16.00 Uhr. Dann bin ich aber doch verärgert: Es gelingt mir nicht, und auch an allen folgenden Tagen nicht, mit dem smartphone und meiner italienischen 30-Tage-TIM-Karte eine Internet-Verbindung zu bekommen: Also ist auch mit der Hotelsuche über booking.com künftig nichts mehr drin. Das ist mehr als ärgerlich!
Viel Hotelauswahl habe ich in Tropea nicht – es ist halt noch Vorsaison, und ich bin Einzelradler. Aber mein Hotel „Terazzo sul mare“ hat eine traumhafte Lage ca. 50 m über dem Sandstrand, die es sich mit 60 Euro aber auch entsprechend bezahlen lässt...

Dafür will ich heute beim Essen sparen: Im supermercado kaufe ich Käse, Wein, Chips und Brot, und ein einer Stehpizzeria gibt es auch noch ein Stück Pizza aus der Hand. Danach gehe ich noch ein bißchen spazieren, denn zum Schlafen ist es zu früh und zu hell.
Die Bilanz für den zweiten Tag ist – gemessen an den Umständen – gar nicht übel. Mir ist klar, daß durch die vielen Höhenmeter Strecke und Durchschnittsgeschwindigkeit nicht so immens sind, aber die angepeilten 100 km pro Tag sollten, mal mehr mal weniger, machbar sein. Und außerdem ich spüre auch das Mehrgewicht durch den mitgeschleppten Luxus: Kleines mobiles Schlafzimmer und die mitgeführte Technik machen sicherlich 5 kg aus, die man einsparen könnte. Beim nächsten Mal!

Auf dem Balkon, bei Wein und Chips, und mit einem Anruf zu Hause lasse ich den Tag ausklingen – auf mich wartet ein silber-barockes Doppelbett und eine hoffentlich krampflose Nacht.
Die Bilanz für heute:
86 km in 6:15 h, 1350 hm+ und 1350 hm-
Übernachtung im Hotel „Terazzo sul mare“ in Tropea
Gesamt: 212 km
1. Tag:
Montag, 30. April 2012
Penzberg – München - Catania
Heute geht es los. Nach dem Frühstück noch ein letzter Spaziergang. Das Fahrrad wird für den Flug verpackt und für die 50 km bis zum Flughafen auf dem Radträger verzurrt. Und es regnet auch nicht – sonst wäre der Karton schon vor dem Flug aufgeweicht und damit unbrauchbar geworden. Nach einem kleinen Imbiss zu Mittag und dem Abschied von der Familie geht es dann (endlich!) los.
Nach einer kleinen Ehrenrunde um das Abfertigungsgebäude herum (dabei war der Hinweis auf AirBerlin wirklich groß genug) und einem Parkplatz direkt vor dem Gebäude stehe ich am leeren Check-In-Schalter und habe schon die ersten aufregenden Minuten vor mir: Die Mitarbeiterin findet mich im System nicht und vermutet, dass ich erst sehr kurzfristig gebucht habe. Erst mein Hinweis, dass ich bereits vor über einem halben Jahr schon gebucht hatte und der Flug irgendwann vom Vormittag auf den Nachmittag verlegt worden sei, bringt sie (und mich) weiter; sogar die Sportgepäck-Buchung (Fahrrad) findet sich. Und ich bekomme auch nochmal die Hinweise für die Rad-Herrichtung, zusätzlich zu den bereits bekannten auch noch das Erfordernis des Ablassens des Reifendrucks, was ich treuherzig und glaubwürdig zusichere (aus den Forendiskussionen war mir bekannt, dass dies seit längerem schon nicht mehr erforderlich ist wegen des Druckausgleichs auch im Frachtraum. Aber egal. Dann erfolgt der Abschied vom Gepäck (den beiden Ortlieb-Taschen, die mit einem Schlauchband zu einem Gepäckstück zusammengezurrt sind) und Rad (das ein Mitarbeiter dank seiner Fahr-Fähigkeit zu einer Aufzugsgroßkabine fährt – hoffentlich bekomme ich in Catania wieder alles heil zurück!
Ich gehe gleich durch die Sicherheitskontrolle, die wirklich streng ist: Ich – auch als grauhaariger Opa – werde sorgfältig gefilzt, die ganze Elektronik wird untersucht (Foto, GPS, Smartphone, Laptop, ebook usw.). Aber: Keine Beanstandung!
Für mich beginnt dann eine zweistündige Wartezeit, bis dann der Flug aufgerufen wird und ich an Bord gehen kann. Ich habe meinen Platz am Fenster vor dem Flügel reserviert und auch eine gute „Aussicht“ unterwegs.
Die Maschine startet dann um 17.30 Uhr, es gibt ein schauderhaftes Käsebrötchen und den schlechtesten Kaffee der Reise, aber besser hier als unterwegs... Schöne Blicke auf die Alpen, später die Po-Ebene und das Bergland im Mittelteil des italienischen Stiefels – es ist überwiegend wolkenfrei. Hinter Rom geht es dann an der Westküste entlang und über das Meer Richtung Sizilien und es wird etwas diesig und auch schon etwas dämmerig, aber man hat trotzdem eine gute Sicht auf das Innere der Insel und vor allem auf den Ätna. Die Kuppe ist schneebedeckt und die Rauchfahne ist deutlich zu sehen. Und dann beginnt auch schon der Landeanflug auf den Flughafen von Catania, der im Süden der Stadt liegt.
Um 19.30 Uhr landen wir – und es heißt wieder warten bis zum Aussteigen, dann die kurze Fahrt mit dem Bus zum Ankunftsgebäude und das Suchen des richtigen Gepäckbandes. Meine Ortliebtaschen – unverwechselbar – kommen nach einigem Warten, aber sie haben Zuwachs bekommen: Irgendjemand hat einen Kinder-Autositz daran festgebunden. Den löse ich mal gleich ab – und es kommt auch eine Mutter angelaufen, die den Sitz vermisst...
Wie komme ich jetzt zu meinem Fahrrad? Einer meiner einstudierten Sätze handelt von der „Gepäckausgabe für Sondergepäck“ bzw. dem „Schalter für verloren gegangene Gepäckstücke“. Zunächst zeigt man mir das Förderband für Sondergepäck, das leer herumfährt. Aus dessen Ausgabeschlund kann mein Rad nicht kommen, dazu ist die Öffnung zu klein. Ich wende mich also doch zum Sonderschalter, wo man nett, aber hilflos lächelt. Ich lächele auch, noch hilfloser, und sehe dann aus den Augenwinkeln einen großen Karton in der Ecke stehen, einen Karton mit Rädern unten dran. Mir fällt ein Stein vom Herzen!
Ich suche mir eine ruhige Ecke in der Gepäckhalle – es ist ohnehin nicht mehr allzuviel los am Abend – und packe mein Rad aus und stelle die leere Kartonhülle hinter einen unbesetzten Auskunftsschalter an der Seite – eigentlich unsichtbar für „Außenstehende“. Aber ich habe die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Plötzlich steht ein uniformierter Flughafenmitarbeiter neben mir, deutet auf den Schalter und gibt mir deutlich zu verstehen, was ich mit dem Karton zu machen habe: Mitnehmen! Natürlich stimme ich dem zu, denn für eine großartige Diskussion fehlen mir erstens die Zeit und zweitens die Sprachkenntnisse, mal abgesehen davon, dass er ja auch ein bisschen Recht hat...
Ich montiere zunächst mal alle Teile wieder richtig ans Rad, hänge Taschen und Lenkertasche dran und bin soweit abfahrbereit. Unter den wachsamen Augen des Uniformierten packe ich die leere Verpackung oben drauf und schiebe mein Gefährt aus der Gepäckhalle in die große Ankunftshalle, in der alles durcheinander wuselt: Besucher, Reisende, Abholer, Kinder, Gepäckkarren – dazwischen ein älterer Herr mit einem vollgepackten Fahrrad, der unauffällig einen großen, leeren Karton unter eine Rolltreppe legt und sich dann mit schnellen Schritten zum Ausgang begibt.
Draußen ist dunkle Nacht. Es ist angenehm warm! Es ist trocken! Mittlerweile ist es fast 21.00 Uhr, also schalte ich mein Licht an, ziehe den Helm über und radle langsam und vorsichtig los.
Mein italienisches Abenteuer hat begonnen!
Ich hatte bei der Reisevorbereitung für die erste Nacht in Catania das Hotel schon vorgebucht und natürlich auch einen passenden, besonders „naheliegenden“, Anhaltspunkt zum Auffinden gewählt: Den Hauptbahnhof. Die Strecke vom Flughafen dorthin hatte ich mittels googlemap und google-earth genau ausgekundschaftet, so dass ich eine gute Vorstellung meiner Fahrtrichtung hatte. Zunächst muss ich mich aber an meine Zuladung gewöhnen, außerdem war ich schon längere Zeit nicht mehr im Dunklen gefahren...
Aber das geht recht flott. Meine Straße führt nach Nordosten, dorthin muss ich, sie ist außerdem zweispurig in jede Richtung und einigermaßen befahren. Dann biegt sie nach Nordwesten ab. Richtung Stadtzentrum. Nicht meine Richtung! Also an einem Grill anhalten und fragen: Wo ist die Richtung zum Hauptbahnhof? Unsichere Blicke auf mich und das Rad, dann die Gegenfrage „Per biccicletta???“. „Si!!!“. Die Richtung gibt es dann per Handzeichen, dorthin, wo ich sie ungefähr vermute. Es führt auch eine Straße dorthin, richtiger: Es kommt auch eine Straße von dort, eine Einbahnstraße. Also schiebe ich ein Stück, bis sich zu der Einbahnstraße eine weitere Fahrbahn gesellt, die ich befahren darf.
Nach insgesamt einer halben Stunde Fahrt stehe ich am Hauptbahnhof – von hier aus sind ich dank der Hilfe eines Taxifahrers und eines Olivenhändlers dann noch 5 Minuten bis zu meinem Hotel. Man wartet bereits auf den Reisenden aus Alemania, hat in der Hotelgarage schnell einen Platz für mein Rad gefunden (das ich – ABUS sei Dank – auch gut ankette), und ich mit zwei Transporten habe ich dann auch meine Gepäck im Zimmer. Geschafft!
Im Zimmer zunächst einmal heiteres Rätselraten: Wo ist was? Es wird Tage dauern, bis die Ordnung im Kopf mit der in den Taschen übereinstimmen wird. Aber ich habe ja Zeit! Bei einem Stück Brot, einer kleinen Salami und einem Glas Wein (von zu Hause mitgebracht, aber immerhin aus Italien...) komme ich zur Ruhe, während draußen irgendwo im Häusergewirr hinter dem Hotel ein Hund wie irre bellt. Ich werde wohl trotzdem gut schlafen, nach dem Tag und den Aufregungen, die hoffentlich in den nächsten Tagen nachlassen.
Um 23.00 Uhr ist Schluss und ich schlafe.
Daten des 1. Tages:
Ca. 10 km auf Meereshöhe
Übernachtung im Hotel „Romeo“ in Catania
Gesamtstrecke: 10 km
Im Süden
2. Tag:
Dienstag, 01. Mai 2012
Catania – Messina – Scilla
Trotz des guten Beginns am Abend vorher schlafe ich nicht gut – zu viele Wenns und Abers geistern durch meinen Kopf. Der Wecker piept mich dann recht früh aus dem Schlaf, der dann doch irgendwann gekommen war.
Frühstück gibt es bei geöffneter Terrassentür, blauer Himmel und Sonne schon um 7.00 Uhr, dazu ein Frühstück, das so garnicht meinen Befürchtungen entsprach, sondern sehr umfangreich ist und eine prima Grundlage für den Tag gibt. Aber ich habe nicht den Nerv, es bis ins Letzte auszukosten: Ich will los! Schnell gepackt (wieder die Überlegungen, wo was hin kommt, was oben in die Taschen und was unten), das Rad aus der Garage geholt – Gott-sei-Dank istr alles damit in Ordnung – die Radtaschen anmontiert, Helm auf und Handschuhe an, ein Foto durch den Herrn von der Rezeption – und es geht um 8.30 Uhr endlich los, zurück zur Hauptstraße, die zur Küstenstraße Richtung Messina wird.
Bei meinen Vorüberlegungen spielte auch eine Rolle, dass der 1. Mai auch in Italien Feiertag ist und ich mich somit an den Verkehr außerhalb des werktäglichen Wahnsinns gewöhnen kann. Das ist auch tatsächlich so: Die Straßen sind angenehm leer, an der Uferpromenade in Catania sind Jogger und „Hundemenschen“ unterwegs, auch einige Radfahrer mit ihren Rennrädern. Ein Bild, dass ich an den folgenden Wochenenden mehrmals sehe.

Die Straße (SS114) führt teils direkt an der Küste entlang, teils mit einigen hundert Metern Abstand, jedoch fast immer in Sichtweite des Strandes. Es geht immer etwas auf und ab – bis zum Abend addieren sie sich dann doch auf fast 1000 Höhenmeter. Zum Landesinneren hin ist alles sehr grün, hier wird intensiv Landwirtschaft betrieben, Es steigt Richtung Ätna auch steil an, einige Städte und Dörfer liegen sehr malerisch auf halber Höhe – dorthin führt die Küstenstraße aber nicht, und auch ich lasse mich nicht locken. Allmählich wird der Verkehr doch stärker, Familien, die einen Ausflug machen, viele Vespafahrer, aber mit rücksichtsvollem Abstand zu mir. Häufig wird von hinten gehupt, nicht um mich zu ärgern, sondern rechtzeitig zu warnen, so wirkt es zumindest.
An den Stränden der größeren Orte (Giardini-Naxos, Taormina, Santa Teresa di Riva, Nizza di Sicilia) beginnt sogar schon das Strandleben: Familien mit Körben, Stühlen, Boxen, Sonnenschirmen – aber im Wasser sind nur ein paar Kinder. Blickt man dann von der Küste weg ins Landesinnere, hat man den Ätna mit seiner Schneekuppe vor sich – wie gestern auch schon mit einer deutlichen Rauchfahne. Der dunkle Dreck am Straßenrand entpuppt sich dann bei genauerem Hinschauen als Asche vom Ätna-Gipfel. An den Vulkan erinnern dann auch in den Städten, durch die ich komme, immer wieder die dunklen Basaltplatten, ca. 50 x 50 cm groß, die diagonal und mit größeren Fugen verlegt sind. Ich begegne ihnen auch später in Salerno, Pompeji, Neapel und Rom wieder – und zwar mit ziemlichem Respekt: Sie sind – ähnlich wie Kopfsteinpflaster – recht holprig zu befahren und vermutlich bei Nässe glatt wie Schmierseife.

Eine Besonderheit, die mir nur auf dieser Strecke und an diesem Tag aufgefallen ist, sind die verschiedenen Gegenstände, die an den Zäunen entlang der Straße angebracht sind: Plastiktüten, Schuhe, Strümpfe, Stofffetzen, Reifenteile – ein buntes Sammelsurium, das an den Stellen ohne Zaun achtlos am Straßenrand liegt, während es an anderer Stelle fast schon liebevoll und kunstreich aufgehängt ist.

Ansonsten ist Müll und Abfall in jeglicher Form und Menge ein Dauerthema für den Radfahrer: Er begegnet einem auf fast jedem Meter. Ich frage mich, wie man nur so mit seiner Heimat umgehen kann. Dagegen sind die „Müllzäune“ wahre Alltags-Dauerausstellungen, die mir später auf dem Festland, auch in Kalabrien, nicht mehr aufgefallen sind. Aber im Übrigen: Auch im Umfeld unserer McDonald-Filialen ist die fast-food-Vermüllung mittlerweile ja auch Alltag...
In Santa Teresa di Riva, etwa auf halber Strecke zwischen Catania und Messina, mache ich am Strand unter einer Palme eine Pause, esse eine Banane und ein halbe Tafel Ritter-Sport, die weg muss, ehe sie ganz zerschmilzt. Es ist nämlich ganz schön warm geworden, so dass ich mich – wie dann auch an fast allen Folgetagen – gut eincremen muss. Auch im weiteren Verlauf bleibe ich in Meeresnähe, wobei die Küstenstraße bei den Bachmündungen immer ein paar hundert Meter weiter im Landesinneren verläuft – dort ist dann eine relativ kurze Brücke über den Bachlauf, während es weiter unten, am Wasser, eine Brücke von größerer Länge erfordert hätte. Danach führt die Straße wieder zum Meer und führt direkt an diesem entlang.
Messina als eine der großen Hafenstädte von Sizilien spielt vor allem wegen des Fährverkehrs mit dem Festland eine große Rolle. Eine Brücke bzw. ein Tunnel zur Überwindung der Meerenge sind bereits länger konzipiert, scheitern aber immer an den enormen Baukosten. Sizilien ist an der schmalsten Stelle etwas mehr als 3 km vom Festland entfernt; auffallend sind die beiden 230 Meter hohen Masten, die viele Jahre die Hauptstromleitung trugen – mittlerweile wird der Strom aber direkt auf Sizilien produziert bzw. per Seekabel vom Festland transportiert.
Vom Transitverkehr merke ich wegen des Feiertages wenig, es sind überwiegend Ausflügler unterwegs. Der Fährhafen ist rechtzeitig ausgeschildert, aber auch etwas verwirrend, weil für mich als Radfahrer ja der Personenfährverkehr gilt, ich mich aber zunächst an den Schildern des PKW-Fährverkehrs orientiere. Verständlich, dass ich dadurch im falschen Hafenbereich lande. Ich finde aber dann doch „um die Ecke“ meinen Hafen. Eine Fähre legt gerade ab und fährt mir vor der Nase davon – nicht schlimm, weil es die nach Reggio di Calabria ist (dem südlicheren Fährhafen auf dem Festland), während ich nach Villa San Giovanni möchte, etwas nördlich von Messina gelegen. So habe ich eine Stunde Zeit, die Leute zu beobachten, Tagebuch zu schreiben und … zu warten.
Die Überfahrt mit einem Turboliner geht rasend schnell – für mich und das Rad zahle ich 2,50 Euro. Ich bekomme einen Platz am Heck außerhalb des Passagierraumes zugewiesen, dort binde ich das Rad mit einem Tau an einer Eisentreppe (Niedergang) fest und kann mich dann frei bewegen. Es gibt rück- und vorwärtsblickend auch viel zu sehen. Nach etwa 20 Minuten sind wir bereits am anderen Ufer – nur hier kann ich nicht ohne Probleme von Bord: Der Ausstieg ist ein „Stockwerk“ höher angebracht, ich muss mit meinem Zeug die Treppe hoch.
Also: Blitzschnell das Gepäck abgeschnallt, hochgebracht, Rad nachgeholt, wieder alles zusammenmontiert, ab an Land und den Weg vom Hafengelände Richtung Küstenstraße gesucht.
Einen Unterschied auf dem Festland im Vergleich zu Sizilien kann ich eigentlich erst einmal nicht feststellen. Es riecht gleich – eine Mischung aus Müll, Kräutern, Rauch, Abgasen und Meer, es sieht ähnlich aus, nur dass jetzt das Meer auf der linken Seite ist statt bisher rechts, die Straße und der Verkehr sind ähnlich. Einen weiteren spürbaren Unterschied gibt es allerdings: Ich habe Gegenwind, seit ich von der Fähre runter bin. Und es ist gut, dass ich zu dieser Zeit noch nicht weiß, dass das fast die kommenden drei Wochen so bleiben wird, allerdings mit unterschiedlicher Stärke.
Das Hinweisschild SS18 SALERNO 560 km steht kurz hinter dem Fährhafen, und damit habe ich dann mal eine Ansage. Wenn ich das geschafft habe, dann liegt der Süden hinter mir, dann ist es nicht mehr weit bis Neapel, und Rom ist auch schon greifbar. Aber zunächst muss ich schauen, dass ich eine Unterkunft für die Nacht finde, denn am ersten Tag möchte ich es nicht übertreiben. Als Tagesziel habe ich mir das Küstenstädtchen Scilla ausgesucht, etwa 15 km nördlich von Villa San Giovanni. Das Wetter spielt – bis auf den Gegenwind – weiterhin mit: Angenehm warm und vor allem trocken. Es geht ständig auf und ab, rauf und runter – auf einer so gut wie leeren Straße.
Das ändert sich allerdings schlagartig, als ich Scilla erreiche. Die Durchgangsstraße ist auf beiden Seiten dicht an dicht zugeparkt, es bleibt gerade Platz für die beiden Fahrspuren, auf denen dichter Verkehr herrscht. Auf der rechten Spur ich, vor mir eigentlich nichts, aber hinter mir sehr viele Fahrzeuge – die aber nicht überholen können, weil zu viel Gegenverkehr herrscht. Hier erlebe ich auch zum ersten und einzigen Mal, dass mein Hintermann wütend hupt, sehr dicht auffährt und mir bzw. der linken Radtasche sogar einen sanften Stoß gibt, als er dann doch an mir vorbei zieht. Und zum ersten und einzigen Mal auf der Tour hebe ich den linken Mittelfinger und schleudere ein empörtes „Stronzo“ hinterher!
Ich biege von der Hauptstraße ab in den Ort, Richtung Strand, und lasse mich etwas treiben – halte rechts und links Ausschau nach einem HOTEL- oder ALBERGO-Schild. Von meiner Internetrecherche wusste ich, dass es eine kleine Auswahl geben muss. Eine kleine Pension finde ich am Hafen, aber auf mein Klingeln reagiert niemand. Also zurück zum Hauptort, und dort finde ich Nr. 2 auf meiner Liste direkt. Ein kleines Hotel (KRATAIIS), sehr sauber, schönes Zimmer mit einem modernistischen Badezimmer (als Glaskäfig in das Zimmer integriert) und einer Jet-Duschanlage, die ich ausgiebig teste. Ich ziehe mich um und suche mir was zum Essen: Pizza in einem Strandlokal, viele junge Leute, viele Familien mit Kindern sind hier ebenfalls zu Gast. Also wohl keine „Touristenfalle“.
Ich mache anschließend noch einen Abendspaziergang. Draußen am Strand stehen die Stände mit dem Nippes, den Sonnenbrillen, den Handtaschen und dem Muschelschmuck, z.T. mit Beleuchtung, weil es doch langsam dunkel wird.
Ich gönne mir zur Feier des Tages ein kleines Eis, das ich in der Dunkelheit am Strand esse und aufs Meer hinaus schaue. Dann gehe ich aber ins Hotel – für heute ist es genug.
Die Bilanz für heute:
116 km in 6:45 h, 980 hm+ und 980 hm-
Übernachtung im Hotel „Palazzo KRATAIIS“ in Scilla
Gesamt: 126 km
3. Tag:
Mittwoch, 02. Mai 2012
Scilla – Palmi – Nicotera – Tropea
In der Nacht habe ich heftige Wadenkrämpfe, die Bedenken aufkommen lassen, ob ich die Steigungen an der bergigen Küstenstrecke heute wohl schaffen werde. Aber nach einer schnellen Tasse Kaffee und einem … nennen wir es mal „ausgehenden kontinentalen Frühstück“ – dem letzten seiner Art bis nach Tirol voraussichtlich – von dem ich ohnehin nicht viel essen kann, geht es dann wieder zur Küstenstraße.
Hier wärme ich mich gleich mal an einer 80-Meter-Steigung auf, dann aber habe ich für eine halbe Stunde eine herrlich leere Küstenstraße für mich. Rechts oben in den Küstenbergen sehe ich immer wieder die (mautfreie) Autobahn, die mir den Verkehr vom Halse hält.
Es ist noch recht diesig am Morgen, aber das legt sich, bis ich in Bagnara Calabra bin. Ich hatte bei der Routenplanung festgestellt, dass hier die erste Bergetappe meiner Reise sein wird, und gehe die Auffahrt dann auch gemächlich an. In mehreren Serpentinen schraubt sich die Straßen den Berg hoch, ca. 500 hm von Null an. Ich lasse mir Zeit zum Schauen, weil die erste Hälfte des Aufstiegs noch durch den Ort führt, mit kleinen Läden, Kirche, Friedhof usw. direkt an dem steilen Straßenstück. Es gibt viele ältere Leute, ältere Autos, Hunde und Katzen, gelegentlich mal ein Auto, dass mich schnaubend überholt.
Am Ortsausgang eine kleine Pause mit einem tollen Blick zurück auf den Ort und die bisher zurückgelegte Strecke auf der Küstenstraße. Dann geht der Aufstieg weiter, jetzt durch eine rauhe, etwas öde Landschaft, hier wieder mit jede Menge Müll und Dreck am Straßenrand, und hier auch wieder diese typische Geruchsmischung wie am Vortag auf Sizilien. Die Straße führt ein Stückchen über das Plateau, dann geht es wieder – in einer langen Abfahrt – runter in Küstennähe.
Ich fahre durch Palmi, den ersten größeren Ort seit Messina, dann führt die Straße zunächst immer noch etwas landeinwärts, schließlich aber wieder zum Meer zurück, zum Küstenort Gioia Tauro. Hier ist sehr viel Verkehr, viele Lastwagen, auch Industrie. Der Schwerverkehr erklärt sich durch den neuen Containerhafen, an dem die Straße ein gutes Stück vorbeiführt. Bis Nicotera geht es durch die Küstenebene, dann schraubt sich die Straße wieder von Null auf 350 m hoch, und zwar im ersten Teil – noch im Ort selbst – so steil, dass ich anfangs nur schieben kann.
Es geht wieder leicht auf und ab, so langsam summieren sich doch die Meter. Irgendwann unterwegs gibt es eine kurze Pause mit einem Panini mit Salami, aber mir ist klar, dass ich heute nur bis Tropea fahre – dort bin ich dann nach einer flotten Abfahrt und insgesamt fast 8 Stunden im Sattel gegen 16.00 Uhr. Dann bin ich aber doch verärgert: Es gelingt mir nicht, und auch an allen folgenden Tagen nicht, mit dem smartphone und meiner italienischen 30-Tage-TIM-Karte eine Internet-Verbindung zu bekommen: Also ist auch mit der Hotelsuche über booking.com künftig nichts mehr drin. Das ist mehr als ärgerlich!
Viel Hotelauswahl habe ich in Tropea nicht – es ist halt noch Vorsaison, und ich bin Einzelradler. Aber mein Hotel „Terazzo sul mare“ hat eine traumhafte Lage ca. 50 m über dem Sandstrand, die es sich mit 60 Euro aber auch entsprechend bezahlen lässt...
Dafür will ich heute beim Essen sparen: Im supermercado kaufe ich Käse, Wein, Chips und Brot, und ein einer Stehpizzeria gibt es auch noch ein Stück Pizza aus der Hand. Danach gehe ich noch ein bißchen spazieren, denn zum Schlafen ist es zu früh und zu hell.
Die Bilanz für den zweiten Tag ist – gemessen an den Umständen – gar nicht übel. Mir ist klar, daß durch die vielen Höhenmeter Strecke und Durchschnittsgeschwindigkeit nicht so immens sind, aber die angepeilten 100 km pro Tag sollten, mal mehr mal weniger, machbar sein. Und außerdem ich spüre auch das Mehrgewicht durch den mitgeschleppten Luxus: Kleines mobiles Schlafzimmer und die mitgeführte Technik machen sicherlich 5 kg aus, die man einsparen könnte. Beim nächsten Mal!
Auf dem Balkon, bei Wein und Chips, und mit einem Anruf zu Hause lasse ich den Tag ausklingen – auf mich wartet ein silber-barockes Doppelbett und eine hoffentlich krampflose Nacht.
Die Bilanz für heute:
86 km in 6:15 h, 1350 hm+ und 1350 hm-
Übernachtung im Hotel „Terazzo sul mare“ in Tropea
Gesamt: 212 km