Re: Jakobsweg mal wieder

Posted by: Fricka

Re: Jakobsweg mal wieder - 08/16/12 06:34 AM

36. Tag

Als wir um 9.30 abreisen wollen, ist das Tor immer noch verschlossen. Niemand ist zu sehen. Schließlich gelingt es uns, es irgendwie aufzufummeln. In Vilela gibt es keine Einkaufsmöglichkeiten und wir haben keinerlei Vorräte mehr. Deshalb gehen wir in Villafranca erst einmal frühstücken. Nachdem wir uns davon überzeugt haben, dass die Santiagokirche heue genauso geschlossen ist wie gestern. Der Ort ist voller aufbrechender Pilger. Rucksäcke werden in Kleinbusse verladen. Viele gehen hier ohne Gepäck. Die Cafes sind gefüllt. Der kleine überteuerte Laden ist brechend voll. (Etwas weiter durch den Ort gibt es die üblichen Supermärkte.) Vor dem Fahrradladen wird geschraubt. Und wer alles erledigt hat, marschiert oder radelt los. Der Wetterbericht ist positiv. „Morgens noch ein bisschen Regen, dann Sonne und steigende Temperaturen“, alle sind gut drauf.

Von Villafranca aus geht es ein Flusstal hoch. Zunächst mit relativ moderater Steigung. HP Kerkeling erlitt hier Todesangst, direkt neben der N VI, „auf Tuchfühlung mit den LKWs“. Seitdem hat man die Stelle entschärft. Der ununterbrochene Pilgerzug marschiert in einer Art Raubtiergang. Links die Leitplanke, rechts eine mehr als hüfthohe Betonmauer. Dazwischen üben sich Radfahrer in dem, was wir inzwischen „Pilgerslalom“ nennen. Wir fahren auf der Straße. So gut wie allein. Vielleicht sind Autos und LKWs auf der Autobahn unterwegs, die ebenfalls durch das enge Tal verläuft. Meist auf Brücken über uns. Hier hat die EU-Strukturförderung offensichtlich gnadenlos zugeschlagen. Weiter oben sind es sogar bis zu vier Straßen, die in mehreren Etagen übereinander aufwärts führen.

Der Fußweg biegt regelmäßig in die Dörfer aus. Wir machen das auch. Dort gibt es alles, was das Pilgerherz begehrt. In Trabadelo treibt uns ein Wolkenbruch in einen Laden, der endlich ein Preisniveau hat, das es uns erlaubt, uns mit Proviant einzudecken. Die ersten Taxis werden herbeitelefoniert. Wegen schlechten Wetters. Ab Vega de Valcarce soll die Steigung anziehen. Allerdings gibt es hier erst einmal ein Autobahnkreuz, eine riesige Tankstelle, ein großes Hotel – und einen Campingplatz, von dem wir nichts wussten. Landschaft pur sozusagen. In Ruitelan treibt uns der nächste Wolkenbruch in eine Bar. Noch sind wir nur mäßig durchnässt.

Kurz hinter dem Ort biegt der Fußweg aus. Wir bleiben auf der Straße. Nun steigt sie stärker an, ist aber weiterhin bequem zu fahren. Das kleinste Kettenblatt wird nicht gebraucht. Wir kommen zügig voran. Hoch über uns Autobahn und N VI. Da müssen wir auch noch hin. Während wir immer noch entspannt radeln, sehen wir, dass wir erheblich an Höhe gewinnen. Es nieselt durchgängig und regnet ab und zu stärker. Es gibt aber keine Unterstellmöglichkeiten mehr. Wir beschließen, jetzt durchzufahren, da wir ohnehin nass sind.

Es ist nicht mehr allzu weit bis Pedrafita do Cebreiro, die Autobahn liegt bereits unter uns, als wir auf zwei „unserer“ Niederländer treffen. Sie sitzen auf der Leitplanke und frühstücken. Dem schließen wir uns an und fahren anschließend gemeinsam weiter. Vor Pedrafita verschwindet die Autobahn in einem Tunnel. Der nicht sehr attraktive Ort steht oben drauf. Wir biegen hier ab, um die letzten 4 km zum Cebreiro raufzufahren. Die Autobahn führt geradeaus weiter.

Nach kurzer Zeit sieht man die Passhöhe liegen. Hier gibt es keine Kehren. Wir machen ein gemeinsames Gipfelfoto und biegen dann in den Ort. Schon wieder ein „Museumsdorf“. Alle Gebäude sind aus Naturstein und teilweise strohgedeckt. Etliche sind rund. Wir sind anscheinend in Hobbithausen angekommen. Es gibt alle Arten von Herbergen, Bars und Restaurants. Dazu diverse Andenkenläden. Vor dem Ort parken Busse und entlassen ganze Völkerscharen in den kleinen Ort, in dem viele, viele Pilger bereits herumsitzen, die hier übernachten wollen. Davon, dass das Wetter besser werden soll, ist jetzt nicht mehr die Rede. Eher im Gegenteil.

Wir besuchen die kleine Kirche und machen uns nach einem heißen Tee wieder auf den Weg. Die Niederländer sind schon längst weiter. Es ist nur noch vier Grad warm und regnet stark. Zeit, nach unten zu fahren, wo es hoffentlich wärmer ist. Ich habe längst T-Shirt, Pullover, Fleece- und Regenjacke übereinander gezogen, Handschuhe an und Mütze auf. Ganz zu schweigen von langen Hosenbeinen. Alles ist aber inzwischen durchnässt. Teils von innen, teils von außen. Ich friere geradezu jämmerlich.

Wie gestern, geht es auch hier nicht sofort wieder nach unten, sondern noch über zwei weitere Pässe, die jeweils einen wärmenden Aufstieg mit sich bringen. Jeder ist mit einem Pilgerdenkmal verziert. Einmal kehren wir noch auf einen Tee ein, um ein bisschen im Trockenen zu sein. Hier sitzen viele Pilger, die nun erst morgen absteigen wollen. Der Fußweg führt jetzt wieder neben der Straße her.

Endlich sind wir sozusagen „über den Berg“ und beginnen die Abfahrt. Die Straße ist hier deutlich besser zu fahren als die am Monte Irago. Wir brausen geradezu dahin. Das ist auch gut so. In den Füßen habe ich inzwischen kein Gefühl mehr. Die Hände sind steifgefroren. Auf einmal beginnt es zu hageln. Gut, dass wir Helm tragen. Und dass eine Bushaltestelle am Straßenrand auftaucht, in die wir uns flüchten können. Da kommen ganz schöne Trümmer von oben.

Erleichtert erreichen wir Triacastela „unten“. Jetzt wollen wir noch bis Samos, wo es eine „Campinggelegenheit“ geben soll. Was immer darunter zu verstehen ist. Bis Samos hügelt es wieder ein wenig, geht aber tendentiell bergab, so dass wir bis dorthin nicht lange brauchen. Am Ortseingang treffen wir auf das riesige Kloster, das den Ort dominiert. Ein hübsches Motiv: die Klostertankstelle. Weniger hübsch das Refugio im Kloster. Nach einem Blick durch die Tür nehmen wir uns spontan gegenüber ein Hotelzimmer. Keine Lust auf Regencamping. Wir nehmen eine heiße Dusche, hängen die nassen Klamotten zum Trocknen auf und gehen Essen.