Posted by: touromat
Der Watzmann ruft - Zelten für Anfänger - 06/08/15 09:15 AM

Voller Zweifel betrachte ich das bepackte Rad. Die zuvor schlanke, schnittige Form des Rennrades wird durch eine hässliche Metallkonstruktion über dem Hinterrad verunstaltet. Daran hängen plumpe, unförmige Plastikteile, die mit sinnlosem Plunder vollgestopft erscheinen.
„Schande!“, „Frevel!“, „Verrat!“, „Irrsinn!“ und weitere Ausdrücke, die ich hier nicht widergeben möchte, scheinen mir wütende Stimmen von imaginären Rennrad-Puristen von allen Seiten entgegenzuschleudern.
Was habe ich nur getan?

Schwerlastfraktion?
Niemand soll mir vorwerfen können, dass ich planlos unterwegs wäre, also ist im April Probezelten angesagt. Ich fahre in Richtung eines Campingplatzes in der Umgebung. Sicher fährt sich das Rad schwerfälliger als gewohnt, aber meine Befürchtung, dass es instabil wird, weil das ganze Gepäck auf der Hinterachse liegt, hat sich erfreulicherweise nicht bestätigt. Auch zügige Abfahrten gehen problemlos.


Ich komme also sicher am Campingplatz an und beginne mit dem Zeltaufbau.
Ich breite die Einzelteile auf dem Boden aus und versuche mich zu erinnern, wie das vor Monaten beim Probeaufbau zu Hause war.
Gefühlte 17 Dauercamper (glotzen) sehen mir interessiert beim Aufbau zu. Aber ich lasse mich nicht nervös machen. Von Denen nicht! Irgendwie ging das aber beim Probeaufbau zu Hause und ohne Publikum doch deutlich leichter von der Hand. Besonders elegant sieht es wahrscheinlich nicht aus, wie ich versuche, die Heringe mit dem Multitool reinzuklopfen. Hätte ich vielleicht auch noch einen Hammer mitschleppen sollen? Irgendwann steht meine Behausung aber dann doch.
Die Dauercamper haben genug gesehen und wenden sich wieder ihren zuvor unterbrochenen Tätigkeiten zu. SAT-Antenne ausrichten, Pudel kämmen, Grill polieren, Gartenzwerg abstauben.
Überwältigt betrachte ich mein Werk. Ist es nicht schön, wie das Zelt so dasteht, in seiner ganzen Pracht? Wie es mit den sanften, pastellartigen Farben der Abenddämmerung zu einer fast unwirklich schönen Farbkomposition verschmilzt und seine wohlgeformten und klaren Proportionen eine wie selbstverständliche Einheit mit der Zeltwiese bilden, fast so, als würde es schon immer hierhergehören und dieser Platz wäre der Ort seiner Bestimmung.
Wie es schon die Vorfreude der gemütlichen Geborgenheit einer sicheren und erholsamen Unterkunft ausstrahlt; einladender als jedes Luxushotel es je sein könnte. Wie es zusammen mit den anderen Zelten – zufällig gebildet und doch wie von einer höheren Macht angeordnet - eine kaum in Worte zu fassendes Vereinigung von Schönheit und Harmonie bildet.
Ja, ich weiß; manchmal übertreibe ich ein wenig. Es ist halt ein Zelt.

Auf dem Weg zur Dusche komme ich an dem festungsartig ausgebauten Dauercamper-Wohnwagen-mit-Terrasse-und-Pergola vorbei. Ich werfe dem Gartenzwerg einen gehässigen Blick zu. Er starrt ausdruckslos zurück.
Der frisch frisierte Pudel von gegenüber kläfft mich an. Der Besitzer erteilt einen halbherzigen Befehl, was aber lediglich bewirkt, dass das Tier noch hysterischer zu bellen anfängt. In einer ungemein realistisch erscheinenden und (herrlichen) verachtenswürdigen Gewaltphantasie male ich mir aus, wie ich dem (nichtsnutzigen Köter) armen, kleinen Geschöpf als erzieherische Maßnahme einen beherzten Tritt versetze, sodass es jaulend quer über den Weg in Richtung des gegenüberliegenden, festungsartig ausgebauten Wohnwagen-mit-Terrasse-und Pergola segelt und dort bei der unsanften Landung im Vorgarten den ausdruckslos starrenden Gartenzwerg zerstört.
Moralische und ethische Bedenken halten mich gerade noch von dieser (heroischen) schändlichen Tat ab.

Dauercamper-Idylle mit Gartenzwerg
Während ich abends in der Kneipe auf dem belanglosen Essen herumkaue, denke ich darüber nach, wie man zum Dauercamper wird.
Schwere Kindheit? Vererbung? Schlechter Umgang? Kann man versehentlich oder durch unglückliche Umstände in dieses Milieu geraten? Leider reichen meine psychoanalytischen Fähigkeiten nicht aus, um diese ungemein interessante Frage abschließend zu beantworten.
Am frühen Morgen wache ich auf. Es ist ziemlich kalt in meinem neuen Leichtgewichtsschlafsack. Vielleicht hätte ich doch das etwas dickere Modell nehmen sollen. Aber das hätte farblich nicht so gut zum Zelt gepasst.
Ich ziehe den Pulli an und es ist wieder angenehm. Damit tut sich aber eine neue Baustelle auf, denn der diente bisher als Kopfkissen.
Irgendwann ist die Nacht zu Ende. Zu meiner völligen Überraschung stelle ich fest, dass das Zelt noch steht. Gute Arbeit. Na ja, es hatte keinen Windhauch in der Nacht. Aber immerhin.
Ich versuche, herauszuklettern, was sich aber als gar nicht so einfach erweist. Ich mache aber niemandem einen Vorwurf. Der Konstrukteur des Zeltes konnte ja schließlich nicht wissen, dass der potentielle Käufer kein gelernter Bodenturner ist.

Am nächsten Tag auf dem Rückweg durchs Ostallgäu




Schnell heim, bevor das Gewitter kommt.
Erste Erfahrungen sind gemacht. Die Ausrüstung scheint soweit zu passen, wenn auch etwas spartanisch. Kleine Verbesserungen sind noch notwendig.