Re: Motivation bei längeren Anstrengungen

Posted by: wal

Re: Motivation bei längeren Anstrengungen - 09/03/03 09:13 AM

Hi Thory,
Erhlich gesagt, ich war selbst erstaunt, wie "leicht" es mir gefallen ist, PBP zu fahren. Ich war eigentlich auf einem Großteil der Strecke motiviert, hab mich gefreut was neues zu sehen - ich war vorher noch nie per Rad in Frankreich unterwegs. Und nachts - ich hab schon lange nicht mehr so einen wahnsinnsig tollen Sternenhimmel gesehen. Für den Rückweg lag die Motivation dann darin, teilweise die passagen bei Tag zu sehen, die man vorher bei Nacht durchfaren hat und umgekehrt, und natürlich hilft es, wenn man dann die Strecke schon kennt, und genau weiß - jetzt sind es noch drei Stunden bis zu der Station wo es den leckeren Kartoffelbrei gab (zum Beispiel).
Auf dem Hinweg habe ich auch einige Momente des Verzweifelns gehabt, vor allem in der zweiten Nacht - plötzlich der Gedanke, es ist ja so weit noch, und das Bewußtsein, daß es kein flaches Stück gibt (was natürlich bei dunkelheit immer etwas schwieriger ist, wenn man z.B. das Ende der Steigung nicht sieht), auch der Zeitdruck den man sich selbst setzt, und Zweifel, ob man nach einer Stunde Schlaf wirklich wieder in der Lage sein wird, aufs Rad zu steigen. Das sind die mentalen Probleme, hier liegt auch ein Teil der Herausforderung.
Aber solche Art von Zweifeln hatte ich bis jetzt bei jeder meiner "normalen" Radreisen auch - in Patagonien hab ich durchaus manch eine Verzweiflungsträne vergossen, wenn die Tagesetappe nach abermaligem Gegenwind nur 18km betrug. Oder die Bedenken in Australien, ob wir unsere Tour nach Brisbane schaffen würden, als wir wegen Regens und matschiger Piste nur 20km am Tag fahren konnten.
Man kann aber lernen, mit solchen mentalen Problemen umzugehen, und ich meine daß ich für PBP sehr von meinen Radtouren vorher profitiert habe.

Zur körperlichen Quälerei: Ich war auch hier erstaunt, wie wenig Probleme ich eigentlich hatte. Das grösste Problem war bei mir eben diese Reizung im Mund/Rachenraum, die mir nicht erlaubte, vernünftig zu essen. Appetit hätte ich gehabt, und es gab durchaus leckere Sachen. Das war für mich eine neue Erfahrung, ich muß mal sehen, was ich daraus lernen kann. Mit meinen neuen Handschuhen, die besonders dicke Polster an den Handballen hatten, hatte ich keine tauben Finger, Andy hatte da mehr Probleme. Bei mir wurden nach einiger Zeit die Zehen taub, ich vermute die Sohle meiner Schuhe ist irgendwie nich mehr in Ordnung, denn auch dieses Problem hatte ich früher nicht. Sitzprobleme hatte ich auch ganz massiv, bin dann den ganzen dritten Tag trotz 30°C mit der langen Hose gefahren (halt hochgekrempelte Beine) , weil das zusätzlich gepolstert hat. Knie: hier habe ich entzündungsvorbeugend regelmässig Aspirin genommen, dennoch im Laufe des dritten Tages Schmerzen bekommen, die sich aber wieder gegeben hatten, sobald ich wieder konzentriert meine gewohnte Trittfrequenz gefahren bin.
Ich denke, daß man bei so einer Fahrt mehr körperliche "Qualen" in kauf nimmt, als im Alltag, vielleicht weil man sich bewußt ist, daß es ohne gewisse körperliche Schmerzen eben nicht geht.

Es ist sicher nicht so (zumindest bei mir), daß die einzige Freude ist, es geschafft zu haben. Ich konnte mich an Kleinigkeiten unterwegs, z.B. an der Begeisterung der Zuschauer durchaus erfreuen. Ganz toll ist auch die Morgendämmerung, wenn man merkt wie es hell wird, und damit auch wieder wärmer.
Aber natürlich hast du recht - man fährt letztendlich, um anzukommen. Ich weiß z.B. nicht, wie es aussähe, wenn ich mal einfach so für mich versuchen würde, die Strecke zu bewältigen, ohne diesen Rahmen der Veranstaltung. Und die Freude, das Gefühl der Stärke, es geschafft zu haben, läßt einen vielleicht auch manche Qual vergessen...

Den Vergleich zum Bergsteigen - vielleicht sollte ich präzisieren: Höhenbergsteigen. Sicher du hast beim Radfahren nicht wirklich die exklusivität des Ortes, aber du hast definitiv eine emotionale Exklusivität. Für manchen, vor allem für Außenstehende, ist das sicher Quälerei (das ist Bergsteigen für manche auch), aber es ist eben ein "Treffen mit sich selbst" (Zitat eines dänischen PBP Teilnehmers), und solche Erlebnisse kenne ich auch vom Bergsteigen.
Was die Sicherheit und Schnelligkeit angeht: Ich bin mir sicher, der Sieger, der in 42h40min die Strecke abfuhr, hat ganz andere körperliche und psychische "Probleme", als jemand, der 90h braucht.
Je länger man für sowas braucht, umso mehr hat man mit Schlafentzug zu kämpfen. Ich habe mich auf den letzten 100 km auch schon etwas "verwirrt" gefühlt. Zum einen läßt einen die Vorfreude auf das Ende noch mal richtig reinpowern, aber geistig ist man irgendwie daneben - schwer zu beschreiben, aber dieser Zustand erinnerte mich ganz stark an ein Bergsteige-Erlebnis in Peru auf 6000m, wo ich auch etwas schwerfälliger regaierte, etc. Viele Langstreckenradfahrer haben auch Halluzinationen (soweit kam es bei mir nicht).

Ich glaube es ist ganz wichtig, mit welcher Einstellung man an die Sache ran geht: erwarte ich eine drei-tägige Ausfahrt im Stil eines gemütlichen nachmittags auf dem Rad, so werde ich natürlich die ersten Anzeichen von Erschöpfung und Schmerzen als "Quälerei" empfinden, und vor allem mental stark zu kämpfen haben. Das ist jetzt vielleicht etwas überspitzt formuliert, aber ich gehe davon aus, daß viele, die PBP beenden, sich durchaus auf die zu erwartenden Probleme mental vorbereitet haben. Man weiß was einen erwartet, und nimmt das dann eben nicht als "Quälerei" sondern als Bestandteil des ganze einfach hin (so wie manch ein Bergsteiger seine erfrorenen Finger...). Vielleicht ist es deswegen nicht ohne weiteres mit einem "normalen" Radmarathon zu vergleichen. Und die Frage "warum" man sich sowas antut, und womöglich in vier Jahren wieder mitfährt, kann ich auch nicht wirklich beantworten...

Ich hoffe, das war jetzt nicht zuviel Gelaber...