Tschechien und Polen 2012 - Kurzerfahrungen

Posted by: Palma Kunkel

Tschechien und Polen 2012 - Kurzerfahrungen - 03/09/14 10:25 PM

Hallo Ostlandfahrer,

Im August 2012 bin ich mit dem Rad vom sächsischen Schmilka die Elbe aufwärts gefahren, „setzte“ dann mit dem Zug „um“ und fuhr die Oder von ihrer bei Ostrava liegenden Quelle abwärts bis zur polnischen Stadt Wroclaw. Die Aufarbeitung meiner Notizen hat lange gedauert, aber da ich abseits der gebahnten Wege fuhr, sind die Erfahrungen vielleicht auch für andere wichtig. Sie können auch ins Wiki eingebaut werden.



TSCHECHIEN:

Grenzüberschreitende Züge mit Fahrradmitnahme:

Es gibt (Stand Sommer 2012) nur noch einen IC Berlin-Prag-Wien, der ein Fahrradabteil führt. Es ist in der Hochsaison auf viele Tage ausgebucht. Wer mit dem Zug anreist, sollte in Dresden auf die regionalen Ausflügszüge zwischen Dresden und Usti umsteigen, die mehr Platz bieten, und in Usti wieder die inner-tschechischen Züge nutzen, die meist ein Gepäck- bzw. Fahrradabteil führen.

Moderne tschechische Regionalzüge haben statt eines Gepäckwagens ein kleines Fahrradabteil mit breiten, aber hochliegenden Einstiegstüren. Am günstigsten ist die Mitnahme in Doppelstockzügen ("City Elefant") mit breiten, ebenerdigen Einstiegstüren.

Ex-Züge mit Fahrradabteil sind reservierungspflichtig (Reservierung wird kontrolliert).

Dorfladen in CZ (und PL) schließen meist um 17 Uhr, in Städten um 18 Uhr. Supermärkte haben deutlich länger auf. Fahrradläden gibt es in jeder größeren tschechischen Stadt.

Im Gegensatz zu Ostdeutschland scheint die tschechische Wirtschaft zu laufen, auch die Infrastruktur hat den Bruch der 90er Jahre vergleichsweise gut überstanden. Jedes größere Dorf hat noch eine Bibliothek, Städte eine mit Internetzugang; Das Busliniennetz ist dicht, auch kleinste Stichbahnen werden noch mit Triebwagen befahren. Viele Kleinwagen (kaum große), viele Fahrräder und Inlandurlauber sprechen für geringen, aber regelmäßigen Verdienst. Auffallend sind jedoch die zahlreichen Rentner, die in den Städten, Warnwesten tragend, Rasen harken, Hecken schneiden und Papierkörbe leeren - ein Status, der deutschen Rentnern noch bevorsteht.

Man kann gute topographische Karten 100.000 und 1:50.000 kaufen.

Grober Umrechnungskurs: 1 Euro = 250 Kč = 4 Złoty.

Das Erkunden der oberen Oder wird dadurch erleichtert, daß Tschechien, anders als Deutschland und Polen, seine Nebenbahnen bisher erhalten hat. Von Suchdol nad Odrou, Haltepunkt der Ex-Züge zwischen Prag/Brno und Ostrava, fährt alle zwei Stunden ein Schienenbus nach Budišov nad Budišovkou hinauf. Für mich, an diesem Tag aus Mělník kommend, war es ein eigenes Erlebnis, aus einer südländisch sonnigen Ebene ins 550 m hohe, ans Erzgebirge erinnernde Mittelgebirge zu fahren. Am Ortsausgang von Budišov nad Budišovkou gibt es einen Zeltplatz, der auch kleine Hütten vermietet. Viele Familien! Hundeverträgliche Zeltplatzkatze ("kočka"). Der Platz nimmt keine EC-Karten ("wir sind ein kleiner Platz und können und das nicht leisten"). Von hier aus kann man, stellvertretend für die junge Oder, die Budišovka abwandern und erkunden (blau markierter Wanderweg nach Spálovský Mlýn). In Budišov gibt es ein Museum des Schieferabbaus ("Muzeum Břidlice"). - Der Schienenbus hat keine eigenen Fahrradabteile, man wuchtet das Rad von Gleishöhe in den Waggon und dort in einen winzigen Rollstuhlstellplatz. 2 Wagen = 4 Rollstuhlplätze = 8 Fahrräder. Der Übergang in Suchdol erfolgt ebenerdig, keine Treppen.

Das Odergebirge und die Gegend um Ostrava sind nur für den nationalen Tourismus erschlossen. Daher sprechen nur wenige Menschen deutsch oder englisch. Ein paar Brocken Grenzland-Tschechisch erleichtern die Verständigung sehr.

Im Odergebirge gibt es viele Wanderwege, aber keinen ausgebauten Radweg entlang der Oder.

In Spálovský Mlýn ist der Campingplatz "Maria ve skale" mit Asphaltweg erreichbar. Ab hier Radweg Nr. 503 flußabwärts bis Mankovice (Markierung mit kleinen gelben Schildern); ab Mankovice eigenen Weg suchen! Es gibt auch gut ausgebauten einen Radweg "Meandry Odry" auf der polnischen Seite, als Regional-Radweg zwischen den Orten Chałupki und Zabełków. Er streift die Grenzmäander der Oder nur partiell, bietet an diesen Stellen aber das Bild eines naturbelassen mäandrierenden Flusses mit Prall- und Gleithängen, Kiesschwällen und einer üppig wuchenden Vegetation, wie sie vor Jahrhunderten überall hier geherrscht hat. Der entsprechende Weg auf der [http://www.mesto-bohumin.cz/cz/volny-cas/naucne-stezky/hranicni-meandry-odry/ tschechischen Seite], 2011 eröffnet, scheint gehaltvoller zu sein.

Ich nutzte kein Sportbike, sondern fuhr mit einem beladenen Hollandrad. Entgegen allen Warnungen der Fahrradgurus fühlte ich mich auf ihm genauso wohl wie jeder andere Radfahrer.

Mit Warnweste fühlte ich mich auf den tschechischen Landstraßen sicher.

Tschechisches Leitungswasser ist überall trinkbar. Polen raten generell zum Kauf von (überall erhältlichem) Mineralwasser.

Mein Zelt habe ich in Tschechien nicht gebraucht (oft waren glückliche Umstände im Spiel), sondern konnte in Rudervereinen, Motels und Zeltplatzhütten ("chata") übernachten. Geschlafen habe ich in Budišov nad Budišovkou (Zeltplatz mit Holzhütten für 231 Kč pro Nase und Nacht), bis etwa Mankovice gibt es auch immer wieder Pensionen in den Dörfern; weiterhin in Studenka (zwei Hotels am Bhf., evtl. weitere im Ort), in Bohumín im Ortsteil Nový Bohumín im Hotel "Elba", Straße ul. Čs. Armády 305, für 450 Kč + 60 Kč Frühstück (es gibt noch die einfache "Pension Eva" in der Straße ul. Bezručova 101 und die überall ausgewiesene, aber teure "Penzion Ve Věží" sowie im polnischen Grenzort Chałupki im Schloß das ebenso exquisite Hotel "Zamek").

Jetzt begebe ich mich auf "vermintes Gelände": in vielen Städten des tschechischen Grenzgebiets zu Polen (Budišov, Odry, Bohumín usw.) gibt es neben Häusern verschiedener Erhaltungszustände einen Wohnblock, der seit seiner Bauzeit nicht renoviert wurde. In ihm lebt ein buntes Gewimmel von brünetten, fröhlichen Menschen, die tschechisch "cigan" genannt werden. Die meisten von ihnen sind arbeitslos, haben wenige materielle Güter und stattdessen viele Kinder zu ernähren. Ohne Ressentiments wecken zu wollen (die, soweit ich mit meinem Tschechisch verstand, auch unter Tschechen verbreitet sind), seien Radfahrer die üblichen Sicherheitsregeln hingewiesen. Zur näheren Beschäftigung mit diesem in Deutschland fremden Phänomen empfehle ich Landolf Scherzer, "Immer geradeaus. Zu Fuß durch Europas Osten", Aufbau Verlag Berlin 2010, ISBN 978-3-351-02715-5, der sich die Zeit nahm, auf diese Menschen zuzugehen und ihnen zuzuhören. Entweder nimmt man sich diese Zeit oder fährt - wie ich - an dem Wohnblock einfach vorüber; Angstgefühle sind unnötig.

Manche Tschechen, v.a. der älteren Generation, haben immer noch Schwierigkeiten mit der Zuordnung im vereinten Deutschland. Man sollte darauf vorbereitet sein, daß auf die Angabe "Němec" (Deutscher) die Frage "NSR nebo NDR?" (BRD oder DDR?) folgen kann.



POLEN:

Seit dem EU-Beitritt Polens 2007 haben sich die grenzüberschreitenden Mitnahmemöglichkeiten von Fahrrädern im Zug kontinuierlich verschlechtert. Die vier EC's Berlin-Warschau, die Fahrräder mitnehmen, sind in der Saison auf Tage hinaus ausgebucht. (Richtung Warschau/Bydgoszsz kann man, wenn man die Zeit hat, vom Bhf. Berlin-Lichtenberg den Regionalzug nach Küstrin/Kostrzyn nehmen - Fahrradmitnahme immer möglich - und am dortigen Grenzbahnhof in die polnischen Regionalzüge Richtung Szczecin und über Rzepin nach Poznan und Wroclaw umsteigen.) Der EC Berlin-Wroclaw-Krakow, 2010 noch mit Fahrradabteil, nahm 2012 keine Fahrräder mehr mit und endet überdies seit 2013 schon in Wroclaw! (Man soll die Hoffnung nicht aufgeben: 2016 wird Krakow "Kulturhauptstadt Europas". Schaun wir mal.)

Zwischen Dresden und Wroclaw verkehrt (Stand 2012) dreimal täglich ein Zug. Er besteht aus zwei aneinandergekoppelten Triebwagen, d.h. dreieinhalb Sitzplatz-Waggons und einem Fahrradabteil von 3x3 m Grundfläche. An einem Sonnabend im August 2012 fuhr ich mit dem Nachmittagszug von Wroclaw Richtung Dresden. Es war jeder Sitzplatz besetzt, die Leute standen in den Gängen. Vor dem Fahrradabteil stand eine große Menge Radfahrer, die alle verzweifelt hineinwollten. Die Szenen erinnerten an jene, die sich sechs Jahrzehnte früher hier abspielten: wir stapelten auf 9 qm Fläche dreizehn Fahrräder und einen Kinderwagen bis hinauf an die Decke; ich saß zwischen den Rädern auf dem Satteltaschenberg. Es half nichts: drei Radfahrer mußten zurückbleiben.

Der Fahrradtransport per Zug INNERHALB Polens ist deutlich einfacher. Manche Personenzüge und Triebwagen führen Fahrradabteile, in den anderen ist man auf das Wohlwollen des Schaffners angewiesen (das selten versagt wird). Bei Fernzügen und IC werden Fahrräder nur mitgenommen, wenn der Zug ein Fahrradabteil besitzt. Meist besteht für einen Stellplatz Reservierungspflicht.

Viele Dorfbahnhöfe haben keine oder sehr flache Bahnsteige. Bei älteren Waggons muß man in diesem Fall Rad und Gepäck die steile Einstiegsstufe hinaufhieven.

Dorfladen in PL (und CZ) schließen meist um 17 Uhr, in Städten um 18 Uhr. Supermärkte haben deutlich länger auf.

Während auf vielen Dörfern Oberschlesiens noch die deutsche Sprache verbreitet ist, kann man nordwestlich der Höhe Brzeg nicht mehr darauf zählen. Für die Verständigung sind ein paar Brocken Polnisch sehr nützlich, da viele Menschen kaum Fremdsprachen beherrschen. Russisch wird von der älteren Generation durchaus verstanden, doch sollte ein Erstkontakt in Russisch vermieden werden, da er alte Ressentiments weckt. Abneigungen gegen Deutsche werden - sollten sie überhaupt vorhanden sein - im direkten Kontakt nicht ausgeübt: man ist Fremden gegenüber hilfsbereit und höflich.

Grober Umrechnungskurs: 1 Euro = 250 Kč = 4 Złoty.

Ich schlief in Łubowice im Eichendorff-Begegnungszentrum (sehr freundlich, es wird deutsch gesprochen, 90 Zl), in Zdzieszowice im "Hotele Pracowiczne", einer Art Arbeiterwohnheim des Kokswerks, wo man alle Ausrüstung nebst Rad im Zimmer einschließt, für 30 Zl. ohne Frühstück (die Rezeption spricht deutsch), in Opole in der Jugendherberge in der Straße ul. Edmunda Osmańczyka (35 Zl., eine der Rezeptionsdamen spricht deutsch), in Brzeg in einer Privatpension (120 Zl.; es hätte noch andere Möglichkeiten gegeben, u.a. ein Firmenhotel, sprich Arbeiterwohnheim, für ein Drittel des Preises). In Wroclaw nahm ich ein Hostel in Bahnhofsnähe (70 Zl.)

Der Straßenverkehr in Polen hat seit ca. 2000 drastisch zugenommen. Auch auf Landstraßen 1. Ordnung (in Karten gelb gezeichnet) herrscht inzwischen Lasterverkehr, v. a. auf Abschnitten zwischen Städten. In Karten rot eingezeichnete Straßen haben eine für Radfahrer gefährliche Verkehrsdichte und sollten gemieden werden. Man muß damit rechnen, dass manche Fahrer beim Überholen keinen Seitenabstand lassen. Zebrastreifen werden, wenn Fußgänger auf die Straße treten, oft nicht respektiert (Wroclaw!), so daß man besser wartet, bis die Straße frei ist. Auf Dorfverbindungsstraßen herrscht, wie auch in früheren Jahren, nur geringer und eher entspannter Verkehr. Der Hupton eines von hinten nahenden Autos drückt keine Aggression aus, sondern zeigt an, daß der Fahrer überholt.

Das Tragen eines Helms ist bei polnischen Radfahrern verbreitet, Warnwesten weit weniger. Aus eigener Erfahrung wird das Tragen von Warnwesten dringend empfohlen, da es in Polen nicht zu umgehen ist, streckenweise auf den Randstreifen der Schnellstraßen zu fahren.

Fahrradfahren ist in Polen, im Gegensatz zu Tschechien, ein noch junger Sport. Bisher sind v. a. Tagestouren mit Sporträdern und kleinem Rucksack üblich; Gepäckfahrten sind abseits der Touristengebiete unbekannt. Entsprechend ist das Radwegenetz entwickelt: meist umfaßt es Routen für Tagestouren. Längere Radwanderwege sind (zumindest an der Oder) nicht ausgeschildert. Auch bei den Tagesradtourwegen schwankt der Fahrbahnzustand zwischen glattem Asphalt und Pfützenfeldweg.

Entlang des Ufers der oberen Oder laufen immer wieder markierte Radwege, die aber meist lokalen Charakter haben und eine gute Landkarte (in Buchhandlungen vor Ort erhältlich) nicht ersetzen. Die Wege weisen oft eine schlechte Qualität auf.


Viel Spaß beim Erkunden abseits gebahnter Wege - es lohnt sich!

Gernot