Re: ALPHA ON TOUR

Posted by: ALPHA

Re: ALPHA ON TOUR - 02/01/04 06:24 PM

Ushuaia - Fin del Mundo

Gleich hinter Rio Grande treffe ich noch weitere Reiseradler, die ihre Tour in Ushuaia begonnen haben. Einer der drei ist Kanadier und will gar bis in die Heimat radeln. Es wird ein ausfuehrlicher Plasch am Strassenrand gehalten, Mail-Adressen ausgetauscht und Fotos gemacht. Schliesslich
verschenke ich noch drei von meinen Powerbars, den ich habe einfach zuviel von dem Zeug dabei. Aber besser so, als anders herum. Und sie haben sich drueber gefreut.

Ca. 30 Kilometer hinter Rio Grande wechselt das Landschaftsbild, das sich mir bisher auf Feuerland praesentiert hat. Es gibt Waelder, die immer dichter werden, je weiter ich nach Sueden radele. Und Berge, die immer hoeher werden.
Tolhuin ist nach einer weiteren Tagesfahrt erreicht. Zu sehen gibt es hier nichts. Aber ein weiteres mal mache ich mir meine Gedanken, wie man es nur aushalten kann, ein Leben lang in so einem Ort zu wohnen. Oder auch "nur" 10 Jahre. Das ist aber nicht herablassend gemeint. Moeglicherweise sind
die Leute hier auch ausgesprochen gluecklich?!

Nur noch 104 Kilometer liegen zwischen Tolhuin und Ushuaia. Fuer diese Strecke lasse ich mir 2 Tage Zeit, den nun habe ich reichlich davon. Ich habe es wahrlich nicht eilig, Ushuaia zu erreichen. Eigentlich wuensche ich mir nun, die Reise wuerde noch ein paar Wochen dauern. Und die Landschaft ist nun auch so schoen, das ich langsam fahren will. Es geht am tiefblauen Lago Fagnano entlang bis dann am Nachmittag das Hostal Petrel, an der Laguna Escondina erreicht ist. Auf einer kleinen Wanderung werde ich noch vom Regen ueberrascht. Aber egal, mit dem Regen auf meiner Tour habe ich bislang sehr viel Glueck gehabt. Die Anzahl der Stunden, die benaesst
wurde, kann ich an einer Hand abzaehlen.

Zwei kleinere Paesse sind noch zu meistern, der Wind weht verhalten von vorne und nach einer unscheinbaren Kurve sehe ich das Schild: "Bienvenidos"
Willkommen in der suedlichsten Stadt der Welt. Da reist man wochenlang von Norden nach Sueden und ploetzlich ist man da. Einfach so! Es wird wahrscheinlich noch eine zeitlang dauern, bis ich realisiert habe, was ich da eigentlich gemacht habe. Und ich muss nochmal meine Gedanken sortieren. Am besten wird mir das wohl gelingen, waehrend ich mir zu Hause
nochmal in aller Ruhe meine Fotos ansehe. Aber da ist mir heute noch ein grosses Malheur passiert. Ich hoffe, die Bilder meiner zweiten CF-Karte sind noch irgendwie zu retten. Genau am Ende der Ruta "3", dem Ort, den die Argentinier als Fin del
Mundo bezeichnen, macht es piep und es wird ein Kartenfehler gemeldet. Keine Ahnung woran es liegt, ich weiss nur, das es wahrscheinlich nicht an der Kamera liegt. In dem Apperat eines anderen Touristen, der auch mit CF-Karten arbeitet, kann die Karte ebenfalls nicht gelesen werden.
Vielleicht kann ich zu Hause etwas erreichen...

Ushuaia ist eine ausgepraegt touristische Stadt. In den zahlreichen Sourvenierlaeden, umschwaermen Dich die Verkaeuferinnen, wie ein Manndecker den Stuermer. Du kannst sie auch nicht abschuetteln, indem Du hastig vom T-Shirt Stand zu den Ledenwaren und gleich wieder zu den Pullovern wechselst. Auch ein knappes "I ask, if i have a Question" bringt sie nicht davon ab, im bestem Englisch auf Dich einzureden. Ich fuehle mich gleich wieder, wie zu Hause.

Ushuaias Lage ist aber schon recht nett. Am Beagle-Kanal gelegen, kann man auf der anderen Seite die Isla Navarino sehen, die wieder zu Chile gehoert. Die schneebedeckten Berge im Hintergrund bieten eine nette Kulisse. Und frisch
ist es hier! Der Wind weht eisig von West - Nordwest. Waehrend der letzten beiden Fahrten zeigte das Thermometer nur noch zwischen 8 bis 13 Grad Celsius an. Aber angefuehlt
hat es sich doch einiges kaelter. Das Wetter ist sehr unbestaendig. Alle 15 - 20 Minuten ein Wechsel zwischen Wolken und Sonne.

Nett sind die zahlreichen Restaurants hier. Die Argentinier verstehen es wirklich, einem ein gutes Steak auf den Teller zu legen. Moechte mal behaupten, die Schinken die ich hier verspeist habe, waren die besten die mir bislang untergekommen sind. Und auch Fisch kann man hier essen. In bester Qualitaet.

Unbedingt sehenswert ist das ehemalige Gefaengnis in Ushuaia. Das Leben der Gefangenen, die Ende des vorletzten Jahrhunders hier angesiedelt wurden, wird ausfuehrlich in Wort und Bild dokumentiert. Sie wurden hierhin gebracht um
die Pionierarbeiten fuer die Stadtgruendung zu leisten. In den Zellen haengen Fotos der Gefangenen; per Text wird ueber ihr Leben und ihre Straftaten berichtet.

Andere Zellen sind zu kleineren Submuseen umgebaut worden. Hier kann man sich ueber das Leben der ehemaligen Indiander informieren, dort ueber die Luftwaffe, da ueber die Antarktis-Stationen. Die Zelle, die den Krieg um die
Falklandinseln, der 1982 (?) mit Grossbritannien gefuehrt wurde, dokummentiert, liegt allerdings so gut wie eben moeglich versteckt, am Ende eines sehr unterdurchschnittlich besuchen Zellentracktes.

Das eigentliche "Fin del Mundo" (Ende der Welt) liegt gut 20 Kilometer oestlich von hier. Man kann mit dem Zug dahin fahren. Mit dem Taxi oder mit dem Bus. Oder eben auch mit dem Fahrrad. Die Fahrt durch den Nationalpark war noch
mal ein schoener Abschluss der Tour. Den Ort mit dem Schilderwald habe ich aber nicht gefunden. Und wirklich aergerlich ist die Geschichte mit der CF-Karte.


Fazit der Reise:

Auch wenn mich teilweise die Ernuechterung ereilt hat und es die ein oder andere Kopfgeburt gab, war es doch ein tolles Erlebniss. Ich kann die Leute nicht verstehen, die grinsend aus dem Buss auf mich herabschauen waehrend ich am Strassenrand raste. Warum tut man sich so etwas an, hoere ich oft. Der Tonlage nach, mit der diese Frage ausgesprochen wird, kann ich entnehmen, dass ich mindestens fuer "leicht verrueckt" gehalten werde. Fuer mich gibt es jedenfalls kein intensiveres Erleben, als ein Land mit dem Rad zu er-fahren.
Und noch nie in meinem Leben habe ich mich so lebendig gefuehlt.

Ich soll mich nicht zu sehr ueber die Jeep und Pickup-Fahrer aergern, habe ich von anderen Radreisenden gehoert. Sie sitzen in ihrer Fahrgastzelle, spueren den Wind nicht, haben keinen Hunger und keinen Durst. Sie wissen einfach nicht, was los ist, auf der Strasse. Ja, das ist es wohl. Sie wissen
es nicht. Bei allen Vorteilen, die ihre Art der Fortbewegung hat, sie wissen nicht um die Nachteile. Ich denke auch mal, das die meisten dieser Fahrer, mit denen ich schlechte Erfahrungen gemacht habe, sind selbst Touristen sind. Ist ja auch
verstaendlich, dass sie dann, wenn sie sich mal ein vierradgetriebenes Fahrzeug ausleihen, mit ihrer unendlichen Kraft im rechten Fuss, zeigen muessen, was fuer ein Kerl
in Ihnen steckt.
Es gab dann auch noch viele andere Autofahrer, die mir abseits der touristen Hotspots das Victoryzeichen gezeigt haben, oder den Daumen hochgehalten haben. Das war
schon ein echter Ansporn fuer mich. Einige Male wurde mir auch angeboten, mein Rad hinten aufzuladen. Eine freundliche Geste, die hier nicht unerwaehnt bleiben soll.

Und dann die Hunde. Ich habe einfach Pech, weil ich eben einen leichten Schlaf habe. Aber sonst kann man mit den Vichern schon klar kommen. Irgendwann, nachdem man sie zum x-ten Mal am Obst der Verkaufsstaende hat lecken sehen, gewoehnt man sich an diesen Anblick. Und ueber 99 Prozent dieser Vicher sind doch wahre Schisser. Laufen wild bellend hinter einem her. Aber wen Du dann auf die Bremse gehst, machen sie kehrt. Man brauch nicht mal boese gucken.

Und schliesslich der Wind. Hier auf Feuerland hat er mir meinen Stolz zurueckgegeben, von dem er mir in den ersten Wochen der Reise einiges genommen hat. Also, alles wird gut :-)

Gruss Peter