Re: ALPHA ON TOUR

Posted by: ALPHA

Re: ALPHA ON TOUR - 12/27/03 05:52 PM

Santiago II

Am ersten Tag bin ich mit der Metro zum Parque Metropolitan gefahren. Der Park ist der groesste in Chile und dem am Eingang ausgehaendigten Flyer nach einer der groesten der Welt (> 600 Hektar). Mit einer Kabelbahn kann man die
320 Meter Hoehendiffernz zum Stadtzentrum ueberwinden. Von oben hat man einen guten Ueberblick ueber die Stadt, viele Details verschwinden aber im Smog. Am Gipfel des Huegels steht die 14 Meter hohe und 36 Tonnen schwere Marienstatue
Virgen de la Immaculada Conception. Mit zwei Liftbahnen (aehnlichen denen der Liftbahm vom Koelner Zoo in den
Rheinpark, nur viel laenger) fahre ich weiter durch den Park. Viel bringt dies nicht ein, da es ausschliesslich ueber bewaldete Haenge und Huegel dahingeht. Keine bunten, bluehenden Pflanzen. Am Fusse des Viertels ist ein
Stadtviertel zu sehen, in denen die Leute Santiagos leben, die es geschafft haben. Zu vielen der Villen gehoeren Gaerten, in denen auch Swimingpools zu sehen sind. In der Ferne sehe ich die schneebedeckten Gipfel der Anden, was schon
Glueck sein muss, da auch die oft im Smog verschwinden.

Ich fahre wieder nach unten und besichtige die Iglesia Cathedrale, 1748 bis 1775 erbaut. Drei fruehere
Konstruktionen wurden durch Erdbeben und Braende zerstoert. Die Kirche wirkt von innen so wie von aussen: dunkel und sehr barock eingerichtet. Die Weihnachtsgrippe ist mit allerlei blinkenden Laempchen geschmueckt. Das ist hier in den chilenischen Kathedralen so. Diskogrippen...
Neben der Kathedrale ist der Prachtbau der 1882 von dem Architekten Ricordo Brown errichteten Correo Central (Hauptpost) zu sehen. Die Fassade besteht aus aufwendigen Stuckarbeiten, innen sind viele gusseiseneren Ballustraden
zu sehen. Neben der Hauptpost steht der Palacio de la Real Audencia (1804 - 1807). Dort tagte am 19.9.1810 Chiles erste Regierungsjunta. Heute beherbergt er ein historisches Museum.

Dann sehe ich die Schachspieler auf der Plaza. Bestimmt 5 Duzend Geisteskaempfer sitzen dort beisammen, umringt von zahlreichen Kibitzen, die das Geschehen auf den Brettern beobachten. Ich Kibitze auch nur und spiele selber nicht. Einige Spieler sind sehr stark.

Unterhalb der Plaza, in der Metrostation ist eine kleine Ausstellung ueber die Indianderstaemme Chiles zu sehen.
Ich besuche die katholische Universitaet, in der es eine Vernisage gibt. Moderne Realisten haben ausgestellt, die Bilder sind mit interessanten Mischtechniken hergestellt. Zum Teil wird auch Sand verwendet. Ich fotographiere einige der Werke, keiner beschwert sich.
Weiter geht es zum Cerro Santa Lucio, lange nicht so hoch wie der Cerro San Cristobal, aber viel Zentrumsnaeher gelegen. Hier kann ich nur zu Fuss rauf, was aber schon wieder geht. In den Huegel sind zwei interessante, auf alt gemachte Fassaden verbaut. Die Aussicht auf das Zentrum ist lohneswert.

Auf dem Rueckweg vom Cerro Santa Lucio zum Hotel raste ich aus. Dieser Punkt in Santiago wird in meinem Reisefuehrer als gefaehrlich beschrieben. Schon am Eingang zum Park versucht man mir Eintrittskarten fuer das Gelaende zu verkaufen, was ja noch sehr harmlos ist. Waehrend ich so dahergehe packt
mich eine Gestalt mit beiden Haenden am linken Arm, faengt an daran zu ruetteln.
Nachdem ich ausgerastet bin gehe ich weiter und hinter mir ertoenen, dem Tonfall nach, Schimpfworte, die ich nicht verstehen kann. Hin und wieder ist es nuetzlich, das ich kein Spanisch kann.

Am zweiten Tag in Santiago schaue ich mir zuerst die Tribunales de Justicia (Justizpalast von 1907 bis 1929 erbaut) an. Gleich daneben liegt der Nationalkongress. Die Bibliothek des Nationalkongresses ist geoeffnet und zeigt wunderbare alte Lesesaelle mit grossen lederbespannten Holzsesseln.
Die Waende sind mit dunklem Holz beschlagen, die Buecher in den Regalen sind in Leder eingebunden. Die Lampen haengen tief ueber den Tischen, es herscht eine Atmosphaere von einem Barock eingerichteten englischen Wohnzimmer, nur das alles viel groesser ist.
Den eigentlichen Nationalkonkress darf man nicht besuchen, aber um den Nationalkonkress herum ist ein Park angelegt. Er ist Palmenbewachsen und es gibt viele interessante Baeume aus diversen Laendern zu sehen, deren Heimatland durch kleine Schilder ausgewiesen wird.

Ich komme wieder an der Plaza de Armas vorbei und miete mir einen Satz Figuren fuer 300 Pesos. Viele Nasen von gestern sind hier wieder versammelt, vor allem an die Gesichter der staerkeren Spieler kann ich mich erinnern. Ein Spielpartner ist rasch gefanden. Es wird ohne Uhr, aber trotzdem recht flott
gespielt. Heute fange ich mir eine. Ich verliere 2:4. Kann mich einfach nicht kondensieren. Sogar 2 gewonnene Partien werden weggeschmissen. Aber mein Partner war wohl auch besser...

An der Plaza de la Constituation vorbei ging es zum Palacio de la Moneda, seit Mitte des 19 Jh. Praesidial und Regierungspalast. Das 1799 erbaute neoklassistische Gebaeude war zuvor koenigliche Muenze und Spaniens
groesstes oeffentliches Gebaeude in Uebersee. Vor dem Palast seht ein Denkmal des von Pinochet gestuerzten und ermordeten Praesidenten Salvador Allende. Den Palast selbst darf man nicht besuchen. Im Hof gibt es eine Ausstellung von
Weihnachtsbaeumen zu sehen, jeweils mit dem angeblich landestypischen Schmuck. Der deutsche Weihnachtsbaum erscheint mir wenig repraesentativ zu sein.

Irgendwann stehe ich vollkommen leer in den Strassenschluchten und frage mich was ich eigentlich hier mache. Gut 5 Minuten hetzen die Leute links und rechts an mir vorbei, bevor ich wieder klar denken kann. Gut das es nicht
weit bis zum Hotel ist. Auf den kuerzestem Weg geht es dorthin zurueck. Nun ja, nicht ganz, ich suche noch ein Telephonbuero auf, wo ich versuche Marleen zu erreichen. Aber keine Chance, das Netz ist wohl ueberlastet. Im Hotel angekommen, versuche ich mich beim flicken meiner zwei defekten Schlaeuche etwas zu entspannen. Aber das geht nicht, das Handy klingelt. Ich muss mich nun auch noch zum wiederholten Male rechtfertigen, warum ich nicht fuer 5 Euro pro Minute nach Deutschland telephonieren moechte.
Man wuenscht "jedenfalls mir" viel Spass in Santiogo. Um es nochmal (wahrscheinlich vergebens) hier zu schreiben: Ich will hier keinen Spass haben und habe auch keinen. Ich will etwas erleben. Was mich das an Energie und Nervon kostet, davon hat wahrscheinlich keiner meiner Bekannten eine Ahnung
(alles Bus- und Autofahrer).
"Er soll das halt machen, wenn er das braucht", habe ich vor meiner Abfahrt gehoert. Diese Auesserung stellt einen auf die Stufe von Wirrkoepfen, die sich an beliebig geilen Trendsportarten ergoetzen, wie sie die heutige Spassgesellschaft hervorbringt (Gut formuliert in der Meinung zu den entfuehrten Radtouristen im Irak)
Er braucht das, er muss springen. Er braucht das, er muss skydiven. Das ist in, das ist DER HYPE. Jetzt neu aus Amerika...
Spass macht es nicht, vom Bauern einen warmen Becher Tee zu bekommen. Aber es ist ein schoenes Erlebniss.
Tilmann Waldthaler hat mir vor meiner Reise geraten, das Handy zu Hause zu lassen. Ich haette auf ihn hoeren sollen.

Morgen werde ich um 5 Uhr aufstehen, damit ich weiter gegen Sueden fahren kann. Viel Spass dabei! Danke. Bitte. Und nochmal ausdruecklich herzliche Weihnachtsgruesse an alle. Um 22:00 werde ich hier aus dem Internetcafe geworfen.
Nachdem viele jetzt denken werden: Der Jung braucht mal Pause, beschliesse ich fuer mich, die naechsten zwei Wochen jegliches Internetcafe zu meiden und das Handy auszuschalten. Das wird eine erholsame Pause werden!
Wie ihr seht, ist daraus nichts geworden.

Dem Vater werde ich empfehlen nochmal in Andalusien 100 km an einem Tag zu fahren (Es muessen ja nicht gleich 150 oder 170 sein, wie bei mir, der Wind wird einfach ausgeknippst), sich dann innerhalb eines 3/4 Tages:
Sivilla anzusehen (auch das ist eher zu seinem Gunsten gerechnet, betrachtet man sich das Groessenverhaeltniss von Sevilla zu Santiago), SELBER einkaufen zu gehen, zu duschen, Waesche zu waschen (natuerlich mit der Hand) ein Internetcafe aufzusuchen, einen ausfuehrlichen Bericht zu schreiben, (Probehalber diesen mal abtippen und die Zeit stoppen), sich bei Spiegel.de auf dem laufenden zu halten, was es neues ueber Hussein, die Marsexpedition & Co. gibt (man bekommt vom ihm Nachrichten geschickt, als wuerde man hier hinter dem Mond leben), nach neuen Packtaschen zu suchen und sich dann diese Fragen zu stellen:
Kann ich jetzt noch umfangreich mit meiner Kamera experimentieren und Probeaufnahmen inclusive der Beschreibung der jeweiligen Einstellungen nach Hause
schicken? Hier in diesem Internetcafe? Oder vielleicht in dem naechsten? Ich weiss der Vater, hat es nur gut gemeint. Aber er sollte es eigentlich wissen...


SAN FERNANDO

Am folgenden Tag fahre ich nach San Fernando, 143 km suedlich von Santiago gelegen. Da ich frueh losgefahren bin und obendrein noch dieser tolle Feiertag ist, komme ich gut aus Santiago raus, ohne mein Leben zu gefaerden. Im
Gegensatz zur Stadteinfahrt ist die Stadtausfahrt sehr gut ausgeschildert. Alle paar Hundert Meter gibts ein Schild mit der Aufschrift "al Sur". Nicht nur an den Stellen, wo ich abbiegen muss, sondern auch zwischendurch, sozusagen als Hinweis, das ich noch auf dem richtigen Weg bin. Trotz der
unmenschlichen Zeit gibt es doch schon recht viele Autos auf den Strassen. Die Ausfallstrasse hat drei Fahrspuren nach Sueden und ich bin froh, frueh losgefahren zu sein, da es auf den ersten 14 km keinen Seitenstreifen gibt. Zur normalen
Tageszeit wuerde ich hier keinem raten, mit dem Fahrrad herzufahren.
Die Strecke nach San Fernando ist so lieblos, wie der Ort selbst. Das interessanteste ist noch der Supermarkt, wo ich mir die Tuete Chips fuer den Abend hole und eine grosse Flasche Trinkjoghurt. Ausserdem zwei kleine Salamiwuerste einen Obstsalat, zwei Bananen und Saft. Danach gehts mit
Kohldampf in ein Restaurant. Die Chilenen sind nicht gerade mit dem Kochloeffel in der Hand geboren, aber hier laesst es sich ganz gut speisen.


CURICO

Heute fahre ich nur 55 km nach Curico. Auf der Karte wird der Plaza de Armas besonders hervorgehoben, ausserdem soll es schoene Kirchen zu sehen geben. Der Platz ist wirklich sehenswert, er gilt als einer der schoensten von ganz Chile und ist mit 60 Palmen bepflanzt.
Die erste Kirche ist geoeffnet. Eine interessante Architektur. Die vordere Fassade ist alt, dahinter muss einmal ein Unglueck gewuetet haben. Findigerweise hat man die Kirche neu aufgebaut, aber mit einer modernen Architektur. Zwischen der alten Fassade und der modernen Kirche liegt ein kleiner Platz.
Die zweite Kirche ist geschlossen, aber hat eine schoene Architektur, die ich von aussen betrachten kann.

Am Platz entdecke ich ein sehr schoenes Restaurant und ich muss sagen das ich hier bislang am besten gegessen habe, seit ich in Chile bin. Mein Stimmung hebt sich wieder. Ich bin in einem Weinclub gelandet. Lange ueberlege ich, ob ich mir wohl einen Schluck erlauben darf. Es ist mitten am Tag und bis
Morgen muesste sich der Alk im Blut wieder abgebaut haben. Also goenne ich mir eine halbe Flasche und ich bin sehr zufrieden mit dem chilenischen Tropfen. Hinterher goenne ich mir sogar einen Expresso. Ja, das hoert sich jetzt ziemlich enthaltsam an, aber so empfinde ich es nicht. Das Bier schmeckt mit hier immer weniger. Es gibt hier so leckere
Saefte, kaum zu glauben! Erdbeersaft, Himbeersaft, Kiwisaft, Annanassaft, Birnensaft, alles schon in Massen in mich reingeschuettet.

Ansonsten muss ich erlicherweise zugeben, das es ziemlich oede ist, auf der Panam zu fahren. Ich lebe von der Hoffnung, im Laufe des Tages eine interessante Stadt anzusteuern, in der ich mir ein Hotel suchen kann. Die Stadt muss
natuerlich so auf der Strecke liegen, das mein Zeitplan nicht gefaehrdet ist.
Wer sich an den Sehenswuerdigkeiten der Staedte nicht erquicken kann (oder nicht mehr die Kraft hat, sie sich nach der Fahrt anzusehen), der sollte gar nicht erst daran denken, per Rad ueber die Panam zu fahren. Immerhin, ich komme
so ganz gut weiter. Und suedlich von Puerto Montt wird wieder alles anders sein.

TALCA

Heute bin ich ziemlich am Ende und genau das ist auch der Grund, warum ich mit meinem Vorsatz breche, zwei Wochen kein Internetcafe aufzusuchen. Ich brauche einfach mal Rat bzw. Meinungen. In Curico bin ich frueh um 7:00 Uhr aufgestanden. Und schon bliess mir wieder der Wind entgegen. Es ist einfach zum kotzen. Ich kann mich ja noch damit abfinden, die letzten 3 Stunden gegen den Wind anzufahren, meinetwegen soll er auch fruehmorgens schon etwas wehen. Aber das ist schon anders hier und einfach total zermuerbend. Bis Puerto Montt sind es noch 813 km, dafuer habe ich nun noch 13 Tage Zeit. 2 Tage will ich in Puerto Montt Pause machen, ein Tag Pause auf der Strecke moechte ich mir auch goennen. Das heisst also 80 km pro TAg im Schnitt fahren. Hoert sich nicht unmenschlich an, aber sowohl gestern als auch heute bin ich nur 60 gefahren und ich bin ziemlich am Ende. Ausserdem macht das Radfahren so einfach keinen Spass mehr. Was sind die Alternativen?
1) Zaehne zusammenbeisen und durch
2) Zug bis Temuco nehmen und 458 km Radfahren einsparen
3) Die ganze Sache vergessen, gar nicht nach Ushuaia fahren,
sondern ueber die Anden gleich nach Buenes Aires.

Ich schwanke zwischen 1 und 2. Das Ziel ist schon lohneswet, aber es schmerzt auch, sich in den Zug zu setzen. Das ganze ist dann nicht mehr das, was ich mir vorher davon versprochen habe. Ich wollte die Stecke mit dem Rad fahren.

Natuerlich hatte ich mich vorher auch ueber die Windrichtung informiert, aber nach allem was ich an Infos bekommen habe, haette ich ihn eher im Ruecken haben sollen. Mittlerweile bin ich der Ueberzeugung, das diese Informationen absolut falsch sind und, meiner Erfahrung nach, habe ich auch in den folgenden Wochen mit Gegenwind zu rechnen.
Um ganz sicher zu gehen, ob ich mir den Gegenwind nicht einbilde, habe ich mir uebrigens mehrfach auf der Strecke die
Windfahnen angeschaut, die hin und wieder am Rande der Panam stehen. Aber es ist klar, so einen Gegenwind kann man sich eigentlich gar nicht einbilden.

Nicht mal die Maedels, die auf den uebergrossen Plakaten halbnackend Werbung fuer Unterwaesche machen, koennen meine Laune anheben. Was soll ich nur tun?

Gruss, Peter